Vitalität im Alter

Darmflora im Alter

Der Verdauungstrakt liefert unserem Organismus täglich eine große Menge an Nährstoffen. Dabei spielt auch die Darmflora eine wichtige Rolle. Sie hilft nicht nur bei der Verarbeitung von Nahrungsmitteln, sondern sie hat auch einen maßgeblichen Einfluss auf die Schlagkraft des Immunsystems. Die Abwehr schädlicher Entzündungen erfordert ein intaktes Zusammenspiel unzähliger Stoffwechselvorgänge im Körper, für das die Bakterien der Darmflora unersetzlich sind. Die medizinische Forschung entdeckt auch immer mehr Zusammenhänge zwischen dem mikrobiellen Gleichgewicht im Darm und altersassoziierten Gesundheitsproblemen.

Der Traum des Menschen vom ewigen irdischen Leben wird nie in Erfüllung gehen. Etwa 120 Jahre maximal hält die Forschung für möglich. Dem entspricht auch das Alter des bisher nachweislich ältesten Menschen: der Französin Jeanne Calment, die im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen im Jahr 1997 gestorben ist. Aus medizinischer Sicht steht nicht die Zahl der erreichten Jahre im Vordergrund, sondern in welchem Gesundheitszustand das hohe Alter erlebt wird. Wann genau der natürliche Alterungsprozess beim Menschen beginnt, lässt sich nicht so genau festlegen. In einem Punkt sind sich Ärzte, Alternsforschung und andere im Wesentlichen aber einig: Ab dem 35. Lebensjahr beschleunigt sich das Altern. Was, wie und warum es genau in den folgenden Jahrzehnten passiert, bietet nach wie vor genug Stoff für Forschungsaktivitäten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine Kombination aus genetischer Veranlagung, z. B. in Hinblick auf die Zellalterung, Umwelteinflüsse, das soziale Umfeld sowie epigenetische Veränderungen, im Laufe des Lebens das Altern beeinflusst.

Demenz, die Geißel des Alters

Großes Kopfzerbrechen bereitet der medizinischen Forschung die „Geißel des Alters“: das Vergessen, die Demenz. Ein echter Durchbruch in der Behandlung dieser Erkrankungen steht nach wie vor aus. Am besten weiß die Medizin darüber Bescheid, welche präventiven Maßnahmen diesen schleichenden Prozess verhindern oder ihm Einhalt gebieten können. Da rangieren z. B. Brettspiele ganz vorne, auch Lesen, eine neue Sprache lernen und Tanzen gehören dazu.

Hinweise darauf, dass unter anderen die Darmflora, das Mikrobiom, bei den dementiellen Abbauprozessen im Gehirn mitspielt, tauchen in der wissenschaftlichen Literatur immer öfter auf. Österreichische Mediziner wie Univ.-Prof. Dr. Friedrich Leblhuber sind vorne mit dabei an der Forschungsfront.

Prof. Leblhuber arbeitet als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Linz und befasst sich insbesondere mit neuropathologischen Vorgängen. „Die Entwicklungen in der Mikrobiomforschung sind faszinierend“, sagt er im Interview mit „bauchgefühl“ und meint damit unter anderem die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie, die im renommierten Wissenschaftsjournal „Neural Transmission“ veröffentlicht wurden. Diese gemeinsame Arbeit von Mitarbeitern der Landesnervenklinik Linz, der Medizinischen Universität Innsbruck und des Biovis-Instituts in Limburg in Deutschland analysierte Entzündungsmarker bei dementen Patienten.

Leaky gut

Wie geht das? Hochspezialisierte Labormethoden und gentechnische Verfahren machen das möglich, z. B. durch Analysen der Stuhlproben von Patienten. Damit können unter anderem sogenannte Entzündungsmarker identifiziert werden. Sie geben Auskunft darüber, ob und in welchem Ausmaß entzündliche, jedoch symptomlose Prozesse im Körper ablaufen. Prof. Leblhuber und seine Mitarbeiter untersuchten diese Parameter bei Patienten mit einer Demenzerkrankung, weil es inzwischen zahlreiche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Infektionen und Abbauprozessen im Gehirn gibt.

Das hört sich kompliziert an und ist es letztlich auch. Doch die Bedeutung „stiller“ Infektionen für das Auftreten von Erkrankungen kennt die Medizin schon seit längerem. So wurde z. B. im Jahr 1999 nachgewiesen, dass in dem Blutgerinnsel, das zuerst ein Herzkranzgefäß verstopft und dann zum Herzinfarkt führt, dieselben entzündlichen Substanzen vorkommen wie in einem Gelenk mit rheumatischer Entzündung. Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre haben nun einen neuen Faktor ins Spiel gebracht: den geschädigten Darm („leaky gut“) mit veränderter Darmflora und geschädigten Epithelzellen, sowie dessen Auswirkungen über die Darm-Hirn-Achse.

„Leaky gut“ heißt übersetzt „löchriger Darm“ medizinisch ausgedrückt eine „gestörte Darmbarriere“. Wenn die Schleimhäute des Darmtraktes nämlich aufgrund von Entzündungen durchlässig werden, kommen Schadstoffe über die Blutbahn in den gesamten Organismus, auch in das zentrale Nervensystem (ZNS) und damit ins Gehirn. Der Begriff „Leaky-gut-Syndrom“ wurde schon in den 1990-er Jahren das erste Mal in einer Publikation erwähnt, war damals aber vorwiegend in der Komplementär- und Alternativmedizin ein Thema. Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Assoziationen einer beschädigten Darmbarriere mit unterschiedlichen Erkrankungen erachtet inzwischen auch die Schulmedizin für höchst wahrscheinlich, angefangen von Adipositas und Diabetes über Demenz bis hin zur Zöliakie und zu Leberschäden.

Prof. Leblhuber erklärt die möglichen Auswirkungen einer Immunschwäche auf das Zentralnervensystem: „Ein leaky gut entsteht durch lokale Entzündungsprozesse. Der Übertritt von Entzündungszellen in die Blutbahn verursacht dann auch chronische Infektionen in anderen, peripheren Körperregionen. Die Entzündungskaskade dürfte schließlich über das autonome Nervensystem mit einer zentralen Neuroinflammation im Gehirn enden, die bei Patienten mit Alzheimer-Demenz zu den frühen, nachweisbaren Veränderungen gehört. Dieser Prozess könnte schon Jahrzehnte vor dem Auftreten erster Symptome einsetzen. Ausgangspunkt dafür ist letztlich das leaky gut, dem wir durch die Analyse bestimmter Parameter wie erhöhten Konzentrationen von Calprotectin im Stuhl auf die Spur kommen können. Eine schwedische Forschergruppe postuliert klar, dass nach ihren Untersuchungen die Entwicklung von Morbus Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen vom Mikrobiom ausgeht.“

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„Wenn die Darmbarriere gestört ist (Leaky Gut), können Bakterien und deren Stoffwechselprodukte aus dem Darm in andere Teile des Körpers verlagern und schädliche Effekte hervorrufen.“

Probiotische Intervention

Dass eine Therapie mit speziell entzündungshemmenden probiotischen Keimen das Entzündungsgeschehen massiv beeinflussen kann, hält auch Prof. Leblhuber für wahrscheinlich. Bestätigende Ergebnisse dazu liegen inzwischen sowohl aus Tierexperimenten wie auch aus seinen eigenen Studien mit Patienten vor. Nämlich, dass durch Probiotikagabe die Genexpression in der Gehirnrinde verändert und die Entzündung verringert werden kann. Da Veränderungen des Mikrobioms und entzündungsbedingte Schäden im Zuge einer neurodegenerativen Erkrankung wie Alzheimer sehr früh eintreten, könnte sich eine möglichst frühzeitige probiotische Therapie günstig auswirken. Diese in Expertenkreisen mittlerweile weit verbreitete Annahme wird derzeit in weiteren Studien noch genauer erforscht. „Wenn es gelingt, die lokale Entzündung durch probiotische Intervention im Darm zu stoppen – wovon wir ausgehen“, so Prof. Leblhuber, „dann sollte daraus auch ein Schutz vor degenerativen Prozessen im Gehirn, die einer Alzheimer-Demenz zugrunde liegen, resultieren.“

Möglich wäre sogar die Verbesserung von bereits eingetretenen neurodegenerativen Veränderungen durch die Anwendung von speziell entzündungshemmenden und die Darmbarriere stärkenden Synbiotika.

Der Darm im Laufe des Lebens

Unserem Darm wird nach wie vor häufig nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die ihm gebührt, – und das zu Unrecht: Denn der Darm ist nicht nur unser größtes Organ, sondern er ist mit seinen Billionen Darmbakterien auch ganz zentral für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden verantwortlich.

 
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