Katrin Griebler
Frühchen und Darmmikrobiom
Frühgeborene haben keinen leichten Start ins Leben. Aufgrund ihrer Unreife und damit verbundenen erhöhten Gefahr lebensbedrohliche Komplikationen zu entwickeln, müssen viele Frühchen schon gleich nach der Geburt intubiert, mittels parenteraler Ernährung ernährt und mit Antibiotika versorgt werden. Um die Überlebenschancen und die Gesundheit der Frühchen nachhaltig zu verbessern, wird weltweit geforscht. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass das Darmmikrobiom einen besonderen Stellenwert auf die gesunde Entwicklung der Frühgeborenen hat.
Frühchen – unreif geboren
Weltweit kommen jährlich 11% der Neugeborenen zu früh auf die Welt. Kinder, die vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, gelten als Frühgeburten. 35% aller Frühchen sind aufgrund ihrer Unreife nicht überlebensfähig. Neben dem geringen Geburtsgewicht spielt das Gestationsalter eine große Rolle. Je früher ein Kind geboren wird, desto unausgereifter sind seine Organe und dessen lebensnotwendigen Funktionen.
In der Regel sind bei Frühchen Lunge, Herz, Gehirn, Nieren, Darm und das Immunsystem den Anforderungen des Lebens außerhalb des Mutterleibes noch nicht zur Gänze gewachsen. Dank der modernen Medizin haben selbst ganz frühe Neugeborene gute Chancen zu überleben.
- extreme Frühchen (Geburt bis zur 28. SSW) – Überlebenschance rund 67%
- sehr frühe Geborene (Geburt zwischen 28. – 31. SSW) – Überlebenschance rund 95%
- mäßige Frühgeburten (Geburt zwischen 32. – 37. SSW) – Überlebenschance rund 98%
Dennoch besteht bei Frühchen ein hohes Risiko, gesundheitliche (Folge)Schäden zu entwickeln. Wissenschaftler fanden heraus, dass die Zusammensetzung der Darmflora einen wesentlichen Einfluss auf die Heranreifung von frühgeburtlichen Kindern hat.
Ungleichgewicht der Darmflora bei Frühchen
Unumstritten ist die Tatsache, dass die Darmflora (Mikrobiom) eine zentrale Rolle unserer Gesundheit spielt. Bereits während der Geburt (vaginale Geburt) wird der Darm der Neugeborenen mit verschiedensten Bakterienstämmen besiedelt, die für den Aufbau einer gesunden Darmflora essentiell sind. Zahlreiche Wissenschaftler, haben in den letzten Jahren vermehrt das Darmmikrobiom von Frühgeborenen erforscht. Neben dem zum Teil noch schwach ausgebildeten Gastrointestinaltrakt, zeigen wissenschaftliche Studien, dass eine Vielzahl der Frühchen eine gestörte Darmflora (Dysbiose) aufweisen. Einerseits kommt es zu Verzögerungen der Besiedelung mit kommensalen Darmbakterien und andererseits weisen sie eine erhöhte Anzahl potentiell pathogener Bakterien auf. Durch die Besiedelung der “schlechten“ Bakterienstämme, werden die „guten“ Darmbakterien wie Laktobazillen und Bifidobakterien, in ihrem Wachstum gehemmt und eingeschränkt.
Zudem weist der frühgeburtliche Gastrointestinaltrakt eine sehr dünne einschichtige Darmschleimhaut auf und eine erhöhte Durchlässigkeit, die pathogene Keime in den Blutkreislauf eindringen lassen.
Auch das Immunsystem bei frühzeitig Geborenen, ist meist noch sehr unreif. Das heißt, ihre Immunantwort des spezifischen und unspezifischen Immunsystems ist eingeschränkt. Frühchen weisen eine deutlich reduzierte Anzahl an Immunzellen auf, welche für das Abwehrsystem gegen pathogene Keime, Viren und Bakterien essentiell sind.
Es gibt unterschiedliche Gründe, die eine nekrotisierende Enterokolitis (NEC) verursachen können. Hier spielen auch Darm-Dysbiosen und Beeinträchtigungen des Immunsystems hinein. Die NEC ist eine lebensbedrohliche entzündliche Darmerkrankung die 90% der Frühchen betrifft. Im Krankheitsverlauf sterben Darmschleimhautzellen ab – auch ein Darmdurchbruch ist möglich, der eine Bauchfellentzündung nach sich ziehen kann.
Der Darm ist immunologisch betrachtet ein maßgebliches Organ. Die Besiedelung der Darmflora ist von Beginn des Lebens von immenser Bedeutung für die Prägung des gesamten Immunsystems.
Faktoren die eine Dysbiose bei Frühchen begünstigen
Um das Überleben von Frühgeborenen zu sichern, bedarf es medizinisch notwendige Maßnahmen, wie einen Kaiserschnitt (Sectio), die Sauerstoffversorgung durch Intubation, spezielle Ernährung und/oder die Verabreichung von Antibiotika. Diese Faktoren begünstigen allerdings zusätzlich eine Darm-Dysbiose. Die Utensilien bzw. die Medikamente werden meist sofort nach der Geburt appliziert und verabreicht, sowie sind oftmals die ersten Eintrittspforten für Mikroorganismen. Auch der Aufenthaltsort (Krankenhaus) und die Aufenthaltsdauer, spielen bei der Besiedelung des Mikrobioms eine Rolle.
Kaiserschnitt vs. vaginale Geburt
Im Mutterleib ist der Darm der Babys nahezu keimfrei. Entscheidend für die Zusammensetzung der Darmflora ist auch der Weg, auf welchem die Neugeborenen zur Welt kommen. Kinder – egal ob termingerecht oder frühzeitig – die durch einen geplanten Kaiserschnitt geholt werden, unterscheiden sich in ihrem gastrointestinalen Mikrobiom zu Kindern, die natürlich geboren werden. Dieser Unterschied trägt wesentlich zur gesunden Heranreifung des Kindes bei.
Neugeborene, die auf natürlichem Wege geboren werden, kommen zuallererst mit vaginalen und fäkalen Bakterien der Mutter in Kontakt. Kaiserschnitt Geborene, werden zuerst mit Bakterien aus dem Krankenhaus konfrontiert. Vergleichsweise verfügen Neugeborene, die durch Kaiserschnitt geboren werden, über eine geringere Anzahl an Bifidobakterien und Laktobazillen, hingegen ist die Anzahl potentiell pathogener Bakterienstämme höher als bei vaginal zur Welt gebrachten Kindern.
Da über die Hälfte aller Frühchen, durch die Sectio das Licht der Welt erblicken und meist sofort mit Antibiotika behandelt werden müssen, ist ihr Darmmikrobiom besonders im Ungleichgewicht. Auch die Muttermilchproduktion ist oftmals nach einem Kaiserschnitt verzögert, sodass die Neugeborenen mit Muttermilchersatz ernährt werden.
Muttermilchersatz vs. Muttermilch
Die Muttermilch ist nach heutigem Wissen, die beste Nahrungsquelle für Neugeborene. Sie ist reich an Fettsäuren, Kohlehydraten, Immunzellen und beinhaltet essentielle Darmbakterien – wie Bifidobakterien und Milchsäurebakterien – die sich über den Stillvorgang in der kindlichen Darmflora ansiedeln und vermehren.
Da bei Frühchen die Gewichtszunahme und die gesunde Heranreifung im Vordergrund stehen, braucht es meist eine spezielle Diät Nahrung, die hochkalorisch ist und die Verdauung unterstützt. Zudem können manche Mütter ihre Neugeborenen nicht stillen. Einerseits ist es auf die fehlende Milchproduktion zurückzuführen, andererseits ist bei sehr frühen Neugeborenen der Saug- und Schluckreflex häufig noch nicht voll funktionsfähig, so dass sie über eine Sonde ernährt werden müssen. Da diese Ernährungsformen kaum ausreichend kommensale Darmbakterien beinhalten, können diese das Ungleichgewicht (Dysbiose) im frühgeburtlichen Darmmikrobiom nicht ausgleichen.
Antibiotika
Den Frühchen werden meist umgehend nach der Geburt Antibiotika verabreicht. Sie werden sowohl prophylaktisch als auch aus einer medizinischen Indikation gegeben, um neonatale Infektionskrankheiten zu verhindern bzw. zu heilen. Die Dauer der Einnahme ist meist nicht nur auf den Aufenthalt im Krankenhaus limitiert. Nicht selten wird die antibiotische Behandlung auch nach der Entlassung weiter fortgesetzt, um die Kinder vorsorglich vor Infektionen zu schützen, die ihnen aufgrund ihres unreifen Immunsystems drohen.
Leider hat dies gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Darmflora. Studien belegen, dass Frühchen, die lange Antibiotika nehmen mussten, eine massive Störung des Mikrobioms aufwiesen.
Positiver Einfluss von Probotika bei Frühchen
Das Wort Probiotikum stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Für das Leben“! Im Hinblick auf den zum Teil meist sehr unreifen Gastrointestinaltrakt und den Faktoren, die das Darmmikrobiom der Frühchen zusätzlich negativ beeinflussen, zeigen Studien den positiven Einfluss wissenschaftlich geprüfter Probiotika.
Multispezies-Probiotika beinhalten lebens- und vermehrungsfähige Darmbakterien, die sowohl protektiv als auch unterstützend zu medizinischen Behandlungen verabreicht werden können. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Frühchen, die mit Probiotika versorgt werden, die Entstehung und den schweren Verlauf von entzündlichen Darmerkrankungen (NEC) positiv beeinflussen können, der gesunde Aufbau und die essentiellen Funktionen des Darmmikrobioms gefördert werden und das Immunsystem sich adäquat und altersgerecht entwickeln kann.