Fasten & Darm

Fasten & Darm: Experteninterview mit Dr. Andreas Michalsen

Wir haben Prof. Dr. Andreas Michalsen zum Thema “Fasten und Darm” befragen dürfen. Prof. Dr. Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin und Professor für klinische Naturheilkunde der Charité und zudem noch ein weltbekannter Fastenguru. Das Konzept vom Kurhaus Marienkron, unserem Partner, der ebenso den Darm ins Zentrum der Gesundheit stellt, trägt dabei ganz stark seine Handschrift.

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen

Was ist Fasten?

Institut AllergoSan: Zuallererst möchten wir Sie fragen: Was bedeutet Fasten für Sie und ab wann ist Fasten wirklich Fasten?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Fasten ist für mich ein fester Bestandteil einer optimalen Prävention- und Gesundheitsvorsorge: Fasten und Essen gehören zusammen, genauso wie Bewegung und Ruhe. Biologisch und evolutionär ist dieses Wechselspiel für unseren Körper ganz natürlich und Einseitigkeit eher ungünstig. Bei der Antwort auf die Frage „Ab wann Fasten wirklich Fasten ist“, können wir die Definitionen der internationalen Wissenschaft berücksichtigen, vor allem für die bekanntesten und populärsten Formen, dem Intervallfasten und dem Heilfasten. Intervallfasten beginnt danach ab 12 Stunden und das Heilfasten ab 5 Tagen. Im weiteren Sinne kann es aber auch schon als Fasten gesehen werden, wenn sich jemand vornimmt, in einer 7-wöchigen Fastenzeit auf Alkohol, tierische Produkte und Zucker zu verzichten – auch das hat sicherlich schon einen gewissen Charakter von Fasten, aber natürlich nicht die gleiche Wirkung wie das medizinisch definierte Fasten .

Institut AllergoSan: Was bewirkt Fasten im Körper und welche Bedeutung hat Fasten speziell für unseren Darm? Wirkt sich das Fasten auch auf die Darmflora aus?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Viele unserer Körpersysteme (v.a. Herz, Kreislauf, Immunsystem) sind durch das viele, dauernde Essen und Sitzen übersteuert und erst durch das Fasten können sie sich regenerieren und normalisieren, sozusagen wieder zur Werkeinstellung zurückfinden. Das Fasten bewirkt im Körper also eine grundlegende Umstellung des Stoffwechsels. In der Wissenschaft nennt man dies „metabolic switch“. Der Körper mobilisiert dabei alle Möglichkeiten, die nötige Energie sofort über den Abbau von Fett für das Gehirn und die Organe und Muskeln bereitzustellen. Hierzu bedarf es aber eines fein abgestimmten und umfangreichen Steuerungsprogramms, welches von zahlreichen Hormonen und Signalbotenstoffen in die Wege geleitet wird. Für den Darm ist es relativ einfach: dieser wird zunächst entlastet, die Schleimhaut kann sich regenerieren und neu bilden und das Mikrobiom kann wieder zu ihrer ursprünglichen, optimalen Zusammensetzung zurückfinden. Somit bedeutet die Nahrungskarenz für den Darm eine günstige Möglichkeit, sich zu regenerieren. Es gibt inzwischen bereits drei größere Untersuchungen, die allesamt zeigen, dass es nach dem Heilfasten insgesamt zu einer Verbesserung der Zusammensetzung der Darmflora kommt, die bakterielle Diversität größer wird und Bakterien, von denen man heute weiß, dass sie einen günstigen Einfluss auf die Darmgesundheit haben (z.B. Bifido-Bakterien), in deutlich größerer Zahl vorhanden sind.

Wie kann Fasten die Darmgesundheit beeinflussen?

Institut AllergoSan: Das Thema Ernährung wird heutzutage heiß diskutiert – zur Fastenzeit noch viel intensiver & man sagt ja auch oft: „Du bist, was du isst“. Was sagen Sie dazu, kann die Ernährung auch auf das eigene Krankheitsbild Einfluss nehmen?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Ernährung ist ein Modethema. Meiner Meinung nach aber ganz zurecht, denn die Ernährung ist der größte biochemische Einfluss, den wir in unserem gesamten Leben auf unseren Körper ausüben. Wir müssen täglich, lebenslang Essen oder gezielt Fasten und die dadurch vermittelten gesundheitsförderlichen oder gesundheitsschädigenden Elemente sind so zahlreich, dass heute fast alle Wissenschaftler davon ausgehen, dass die Ernährung bei den großen und zahlreichen chronischen Erkrankungen unserer Zivilisation der maßgeblichste Faktor für die Prävention ist. Neu ist, dass wir die Ernährung inzwischen auch als Teil einer ganzheitlichen Therapie sehen. Inzwischen weiß man, dass man beispielsweise Diabetes Typ 2, Bluthochdruck oder einige entzündliche Erkrankungen durch eine geeignete Ernährungstherapie heilen kann.

Ernährung und Fasten

Institut AllergoSan: Sie haben gerade die chronischen Leiden erwähnt. Die Anzahl der chronischen Leiden, ebenso chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, steigt von Jahr zu Jahr. Welche Gründe sehen Sie für diese Entwicklung als ausschlaggebend, ist es ebenfalls die Ernährung?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Gründe, warum die Anzahl der chronischen Leiden, die durch Ernährung beeinflusst werden können, ansteigt, gibt es viele. Insgesamt sind chronische Erkrankungen zu einem bedeutenden Anteil durch einen ungünstigen Lebensstil bedingt oder zumindest mitbedingt. Der Lebensstil stimmt nur mehr zum Teil mit den biologischen Anforderungen für einen gesunden Körper überein. Die moderne Medizin ist vor allem in der Akut- und Notfallbehandlung erfolgreich. Zunehmend erkennt aber die Wissenschaft, dass chronische Erkrankungen weniger mit Genetik zu tun haben, sondern zu einem Großteil die Folge eines ungünstigen Lebensstiles sind. Das wiederum führte zu der Einsicht, dass Ernährungstherapien wieder deutlich mehr Gewicht in der Medizin bekamen. Und dies wurde weiter gestützt durch immer mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen, die diesen Stellenwert begründen. Darüber hinaus können Umweltfaktoren wie zunehmende Belastungen durch Pestizide, Umweltsubstanzen und psychologischem Stress ein Faktor sein. Diese Kombination kann das Ganze zu einer höchst gefährlichen „toxischen“ Mischung machen, bei der letztendlich der Körper überfordert wird und Fehlsteuerungen im Stoffwechsel entstehen, die schließlich auch manifeste Stoffwechsel- und Autoimmunerkrankungen zur Folge haben können.

Institut AllergoSan: Zu Beginn haben Sie schon das Intervallfasten angesprochen: „Gibt es besondere Formen von Fasten, die Sie empfehlen können? Was halten Sie vom „Intervallfasten“?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Ich empfehle 3 Formen des Fastens: das klassische Heilfasten, entweder in Form der Buchinger-Technik oder in Form der F.X. Mayr-Methode. Zum zweiten empfehle ich das etwas höher kalorische, modifizierte Fasten, wo vegane zuckerarme Speisen täglich in einer Energiemenge von 400 – 600 kcal gereicht werden. Im Amerikanischen nennt man dies auch fasting mimicking diet. Diese scheint fast genauso gut zu wirken wie das klassische Fasten. Drittens empfehle ich das Intervallfasten mit einem täglichen Zeitfenster von 14 zu 10 oder 16 zu 8 Stunden.

Tipps für leichtes Fasten

Institut AllergoSan: Vielen Personen fällt Fasten schwer und sie geben nach wenigen Tagen wieder auf. Haben Sie Tipps, wie man das Fasten länger durchhält?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Beim Fasten hält man besser und länger durch, wenn man es in einer Gruppe realisiert. Grundsätzlich gibt es meist schon am 1. Oder 2. Fastentag und manchmal auch noch zwischen dem 5. und 7. Tag sogenannte „Fastenkrisen“, also Tage, die eher mit einem schlechteren Befinden einhergehen. Typisch zu Beginn des Fastens sind Kopf- und Rückenschmerzen. Hier kann es helfen, wenn man in der Gruppe eine zusätzliche Motivation und Rückhalt erfährt. Durch die digitalen Möglichkeiten von Computer und Smartphone können sich solche Gruppen heute auch über Apps bilden. Bei längerem Fasten, sprich: über 7 Tage hinaus, sollte die Dauer allerdings mit einer/m Ärztin/Arzt oder Therapeutin/Therapeuten weiter abgesprochen werden.

Institut AllergoSan: Ab wann ist Fasten eigentlich notwendig? Und was kann ich mir vom Fasten für meinen Organismus erwarten?

Fasten & Darm

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Fasten ist eine höchst wirksame Methode der Prävention und letztlich für fast alle Menschen möglich. Zu beachten sind nur wenige Kontraindikationen. Nicht Fasten dürfen Kinder, Jugendliche, Schwangere, stillende Frauen und Menschen mit Essstörungen wie Anorexie oder Bulimie. Es sollten auch Menschen mit Beschwerden durch Gallensteine oder Gicht vom Fasten absehen. Ansonsten kann ein jeder durch die wohltuenden Effekte des Fastens seine Gesundheit verbessern.

Institut AllergoSan: Sie beschreiben in Ihrem Buch „Heilen mit der Kraft der Natur“ verschiedene Strategien für ein gesundes Leben – welche Rolle spielt Fasten dabei?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Das Fasten gehört zu den 7 großen Methoden der Gesunderhaltung, die weiteren 6 sind: gesunde Ernährung, Natur- und Walderleben, Wasser- und Kneipptherapie, Heilpflanzentherapie, Bewegung und Sport sowie Meditation und Yoga. Wichtig ist es, eine Achtsamkeit zu entwickeln, die darin besteht, dass man verstärkt auf die Signale des eigenen Körpers Acht gibt. Der Appell dazu ist eindeutig: „Warten Sie nicht darauf, bis Ihr Körper die Notbremse zieht, sondern setzen Sie schon präventiv an – hierzu zählt ganz wesentlich das Fasten!

Institut AllergoSan: Können Sie uns abschließend noch kurz die wesentlichsten Erkenntnisse aus Ihrem Buch „Mit Ernährung heilen“ zum Thema Fasten erläutern?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Die neuesten Erkenntnisse möchte ich wie folgt zusammenfassen: Es wird immer deutlicher, dass man das Fasten auch bei Erkrankungen therapeutisch einsetzen kann, bei denen man noch vor wenigen Jahren eher vor dem Fasten gewarnt hätte. Das gehören beispielsweise die Chemotherapie bei Krebserkrankungen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, aber auch neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson. Allerdings bedarf es bei all diesen Erkrankungen spezifischer Abänderungen und eines guten wissenschaftlichen Hintergrundwissens, um die positiven Aspekte des Fastens ideal einzusetzen. Die zweite wichtige Erkenntnis ist die, dass die Nach-Fastenzeit von enormer Bedeutung ist. Das heißt, hier sollte eine abgestimmte Ernährungsempfehlung, am besten gleich kombiniert mit einer gezielten probiotischen Therapie zum Aufbau der Darmflora, nachfolgen.

Institut AllergoSan: Sie sagen, dass das Mikrobiom in Allem eine zentrale Rolle spielt. Nicht nur bei der Ernährung, sondern ganz allgemein auch für die Gesundheit unseres Körpers. Was halten Sie zusätzlich vom Einsatz von Pro & Präbiotika als Unterstützung?

Prof. Dr. Andreas Michalsen: Unser Mikrobiom ist ein faszinierendes Forschungsgebiet. Es konnte inzwischen bereits nachgewiesen werden, dass viele neurologische sowie Autoimmunerkrankungen ihre Ursache in einer sogenannten „Dysbiose“ des Mikrobioms, einer ungünstig veränderten Zusammensetzung der Darmflora, haben. Trotzdem stehen wir noch ganz am Anfang bei der Frage, wie die Entstehung von vielen Erkrankungen frühzeitig verhindert werden kann. Man weiß jedoch heute, dass das Mikrobiom dabei sehr wichtig ist – d.h. es muss darauf geachtet werden. Bei der Ernährung sollte auf Ballaststoffe, Gemüse, Obst und ein richtiges Kauverhalten geachtet werden. Und hierbei kann die Unterstützung des Mikrobioms mittels der Einnahme von modernen Pro- und Präbiotika, die gezielt das Wachstum der richtigen Bakterien fördern, überaus sinnvoll sein. Die Therapie von einer ganzen Reihe von Erkrankungen wird in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit schon frühzeitig auf das Mikrobiom Einfluss nehmen.

Personenbeschreibung:

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin und Inhaber der Stiftungsprofessur für Naturheilkunde der Charité-Universitätsmedizin Berlin

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