Margit Koudelka
Darmflora und Medikamente
Arzneimittel beeinflussen das Mikrobiom auf ungeahnt starke Weise. Umgekehrt bestimmen die Darmbakterien über den Wirkungsgrad von Medikamenten mit. Dieses Zusammenspiel beschäftigt derzeit die Wissenschaft.
Gereizte Darmschleimhaut durch Medikamente
Im Darm tummelt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Bakterien und anderer Mikroorganismen, unser Mikrobiom. Eine ausgewogene Zusammensetzung dieser winzig kleinen „Helfer“ sorgt im wahrsten Sinn des Wortes für ein gutes Bauchgefühl, denn unsere Darmflora ist zentral für unterschiedliche Prozesse im gesamten Organismus und für unsere Gesundheit verantwortlich. Dass verschiedene Medikamente wie Antibiotika und manche Schmerzmittel die Magen- und Darmschleimhaut reizen und das Mikrobiom massiv in der Zusammensetzung verändern, ist bereits seit einiger Zeit bekannt. Lange wurden diese Arzneien deshalb in Kombination mit Protonenpumpenhemmern – umgangssprachlich auch Magenschutz genannt – verschrieben. Mittlerweile weiß man allerdings, dass solche Medikamente die Darmflora ebenfalls beeinträchtigen.
Gestörte Darmbarriere
Doch auch zahlreiche weitere Arzneien haben Auswirkungen auf Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms. Die Liste ist lang: Die Antibabypille und andere Hormonpräparate, Antihistaminika, viele blutzucker-, blutdruck- und cholesterinsenkende Medikamente, Kortison und Antidepressiva gehören dazu. Sie alle sind Medikamente, die häufig verschrieben und eingenommen werden. Eine aktuelle Studie schätzt, dass mindestens 25% aller Medikamente einen signifikanten Einfluss auf das Darmmikrobiom haben. „Neben dem Wachstum und der Funktion der Bakterien können Medikamente auch die Darmbarriere, die Darmmotilität, also die Muskelbewegungen des Darms, und das Darmimmunsystem beeinflussen. Ob das für die Patientinnen und Patienten gut oder schlecht ist, muss im Einzelfall untersucht werden“, erklärt Assoz.-Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Vanessa Stadlbauer-Köllner, Fachärztin an der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Graz.
Darmmikrobiom
Von Antibiotika weiß man schon lange, dass sie die Artenvielfalt des Mikrobioms, also die Anzahl der unterschiedlichen Spezies, verringern. Dies kann dazu führen, dass das Darmmikrobiom an Widerstandsfähigkeit verliert. Es kann also durch schädliche Einflüsse aus dem Gleichgewicht gebracht werden. „Dadurch können dann pathogene – also schädliche – Keime bessere Lebensbedingungen vorfinden und sich vermehren. In weiterer Folge kann auch die Darmbarriere geschädigt werden. Bakterielle Produkte können somit in den Kreislauf gelangen und eine Entzündungsreaktion im Körper hervorrufen“, legt die Expertin dar. Inwieweit man selbst, etwa über die Ernährung während bzw. nach der Einnahme von Medikamenten, einem Ungleichgewicht des Mikrobioms entgegensteuern kann, dazu gibt es bislang noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Ergebnisse. Dennoch: „Prinzipiell ist die Ernährung der wichtigste Einflussfaktor für die Zusammensetzung unseres Darmmikrobioms, und eine vielfältige Ernährung trägt zur Vielfalt des Darmmikrobioms bei“, so Stadlbauer-Köllner.
Höheres Infektionsrisiko
Als erwiesen gilt mittlerweile, dass sich eine verminderte Artenvielfalt des Mikrobioms negativ auf die Erkrankung bzw. die Beschwerden, gegen die man die Arznei einnimmt, auswirken kann. „Eine verminderte Diversität des Mikrobioms kann beispielsweise zur Überwucherung mit gefährlichen Keimen führen. Ein Beispiel ist die Infektion mit Clostridium difficile, die während oder nach einer Antibiotikatherapie auftreten und sehr gefährlich werden kann. Bei anderen Medikamenten sind die Veränderungen wahrscheinlich weniger offensichtlich, und es bedarf noch viel Arbeit, die Wechselwirkungen zwischen Mikrobiom, Medikamenten und Erkrankung zu verstehen“, schildert Stadlbauer-Köllner.
„Neben dem Wachstum und der Funktion der Bakterien können Medikamente auch die Darmbarriere, die Darmmotilität, also die Muskelbewegungen des Darms, und das Darmimmunsystem beeinflussen.“
Probiotika bei Antibiotika
Auf jeden Fall gibt es laut der Expertin schon ausreichend wissenschaftliche Daten dazu, um eine vorbeugende Behandlung mit Probiotika im Rahmen einer Antibiotika-Behandlung zu empfehlen. Man fängt mit der Einnahme des probiotischen Produkts idealerweise am Tag eins der Antibiotikatherapie an, spätestens aber zwei Tage nach ihrem Beginn. „Damit kann das Risiko für eine Infektion mit Clostridium difficile um 60% reduziert werden. Nach einer Antibiotikagabe ist es zu spät! Das hat eine Arbeit im Fachjournal Cell Anfang September 2018 gezeigt. Wenn man nämlich erst nach einer Antibiotikabehandlung eine Prophylaxe mit Probiotika beginnt, wird die Regeneration des Darmmikrobioms nicht beschleunigt, sondern möglicherweise sogar verzögert. Eine große Metaanalyse der renommierten Cochrane-Gruppe hat letztes Jahr gezeigt, dass Probiotika wirksam sind, um einer Infektion mit Clostridium difficile vorzubeugen, wenn Antibiotika genommen werden. Eine weitere Analyse aus New York hat ergeben, dass der klinische Effekt am stärksten ist, wenn spätestens zwei Tage nach der ersten Antibiotikagabe mit einem Probiotikum begonnen wird“, erläutert die Expertin.
Doch Probiotikum ist nicht gleich Probiotikum: Welches der aktuell verfügbaren Produkte am besten wirkt, lässt sich schwer festmachen. Doch es gibt einige Qualitätskriterien, auf die man achten sollte: „Es ist sicher sinnvoll, ein Präparat zu wählen, das aus mehreren Stämmen mit einer hohen Keimzahl besteht und dessen Wirksamkeit bereits gezeigt wurde“, empfiehlt die Ärztin. Man sollte überdies Antibiotikum und Probiotikum nicht zeitgleich, sondern ein wenig zeitversetzt einnehmen, da sonst die probiotischen Bakterien vom Antibiotikum sofort zerstört werden. Eine gute Beratung hinsichtlich der Auswahl des geeigneten Probiotikums erhält man in der Apotheke.
*Assoz. Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Vanessa Stadlbauer-Köllner, Fachärztin an der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie an der Medizinischen Universität Graz.
Was sind Probiotika?
Probiotika sind „gute“ Mikroorganismen, meist Bakterien, die eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Darm haben. Dazu gehören unter anderem Bifidobakterien und Milchsäurebakterien (Lactobacillen). Diese Bakterien können dabei helfen, schädliche Mikroorganismen zu vernichten. Sie produzieren wichtige Substanzen wie Vitamin K und Buttersäure und beeinflussen das Darmimmunsystem und die Darmbarriere. Die nützlichen Darmbakterien müssen resistent gegen die Magensäure sein, um in den Darm zu gelangen. Meistens siedeln sie sich nicht dauerhaft an, sondern üben ihre Wirkung nur aus, solange sie regelmäßig eingenommen werden. Für einige Probiotika ist jedoch eine nachhaltige Ansiedelung im Darm nachgewiesen.
Solche nützlichen probiotischen Bakterien sind – speziell kombiniert – für unterschiedliche Einsatzgebiete in der Apotheke erhältlich. Für diese Probiotika gibt es strenge gesetzliche Bestimmungen, wonach die Keimzahl (die Anzahl der enthaltenen Bakterien) und die Zusammensetzung der unterschiedlichen Bakterienstämme konstant sein müssen.