Jutta Kalian
Darmbakterien: Helfer auf dem Weg zum Wohlfühlgewicht
So wirkt sich das Mikrobiom auf das Körpergewicht aus
Die vor allem in Europa und Amerika verbreitete „Western Diet“, also eine Ernährungsweise mit viel Fleisch, Fertiggerichten und wenig Gemüse oder Vollkornprodukten, hat zu einer dramatischen Zunahme von Übergewicht und Adipositas geführt – und gilt auch als wesentliche Ursache für viele chronische Krankheiten. Wer abnehmen will, kann sich einen Verbündeten im eigenen Körper zunutze machen: unser Mikrobiom. Denn die Zusammensetzung der Bakterienstämme im Darm spielt eine wichtige Rolle für das Körpergewicht.
Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie diese Woche ein frisch zubereitetes Essen genossen? Haben Sie um Süßigkeiten und Fertigprodukte einen großen Bogen gemacht und das stundenlange Sitzen durch körperliche Bewegung ausgeglichen? Fragen, mit denen wir uns gerne zu Beginn des neuen Jahres auseinandersetzen – schließlich nagen die Neujahrsvorsätze am guten Gewissen und bis spätestens Frühlingsbeginn sollen die Winter-Kilos wieder Geschichte sein. Abnehmen hört sich so einfach an: Man braucht seinem Körper nur weniger Kalorien zuführen, als benötigt werden. Gesünder essen, sich mehr bewegen – und schon wird Körperfett abgebaut, richtig? Und doch ist es für die meisten Menschen mit Übergewicht oder gar Adipositas kaum möglich, allein mit der Formel „Weniger Essen, mehr Bewegung“ dauerhaft Gewicht zu verlieren. Es scheint fast so, als würde der eigene Körper einfach nicht abnehmen wollen. Übergewicht ist längst keine Ausnahme mehr: Mehr als die Hälfte der Erwachsenen und knapp ein Drittel der Kinder in Europa sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation zu dick, sind also übergewichtig oder leiden an Adipositas (Body-Mass-Index über 30). In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Zahl der von Adipositas betroffenen Menschen mehr als verdreifacht – eine dramatische Zunahme, die Mediziner bereits von einer Epidemie sprechen lässt.
Adipositas: Volkskrankheit mit gefährlichen Folgen
Wen wundern diese Zahlen noch? Unser Alltag (bzw. das, was wir als westlichen Lebensstil bezeichnen) ist schließlich durch kalorienreiche Ernährung und vorwiegend sitzende Tätigkeiten geprägt. Essen ist ständig und leicht verfügbar, sei es in Form von Lieferservices oder Takeaway-Läden oder durch das Angebot an Fertigessen im Supermarkt. In kurzer Zeit führen wir uns die benötigten Kalorien zu, und Süßigkeiten stehen beinahe täglich auf dem Speiseplan. Die Coronapandemie hat die Problematik noch verschärft: Jeder dritte Erwachsene und jedes sechste Kind berichtet von einer ungesunden Gewichtszunahme – vor allem Menschen mit ohnehin schon hohem Ausgangsgewicht und niedrigem Haushaltseinkommen sind davon betroffen.
Bei Übergewicht allein bleibt es meistens nicht: Immer mehr im Zunehmen begriffen ist das Metabolische Syndrom, auch als „tödliches Quartett“ bezeichnet. Treten zu viel Bauchfett, hohe Blutzucker- und Blutfettwerte sowie Bluthochdruck gemeinsam auf, steigt das Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln, massiv an. Aktuell schätzt man, dass 30 bis 35 % der Bevölkerung davon betroffen sind. Und diese Kombination wirkt sich auch auf die Leber aus: So entwickeln Menschen mit Metabolischem Syndrom häufig eine nichtalkoholische Fettleber – also eine Lebererkrankung, die nicht wegen erhöhten Alkoholkonsums entsteht, sondern wegen des westlichen Lebensstils mit ungesunder Ernährung und wenig Bewegung. Denn hochkalorische Ernährung führt zu einer erhöhten Durchlässigkeit (= Permeabilität) des Darms, wodurch vermehrt bakterielle Giftstoffe in den Körper eindringen. Diese sogenannte metabolische Endotoxinämie ruft latente Entzündungen im Gewebe hervor, die wiederum den Fett- und Zuckerstoffwechsel durcheinanderbringen – was sogar eine weitere Gewichtszunahme nach sich ziehen kann.
Mikrobiom bestimmt Kalorienverwertung
Viele Gründe also, um überflüssigen Kilos den Kampf anzusagen. Doch eine dauerhafte Gewichtsabnahme scheint für viele Betroffene ein unerreichbares Ziel. Da gibt es jene, die essen können, was sie wollen, ohne je zuzunehmen – aber auch die, die erfolglos eine Diät nach der anderen ausprobieren. Der gefürchtete Jo-Jo-Effekt macht alle Entbehrungen wieder zunichte – und bald hat man nach einer erfolgreichen Gewichtsreduktion wieder das alte Übergewicht (oder man wiegt sogar noch mehr als vorher). Sind wir dem Jo-Jo-Effekt ausgeliefert oder liegt es an der vermeintlich schwachen Willenskraft, dass manche Menschen nicht dauerhaft abnehmen können? Fakt ist: Die Entstehung von Übergewicht ist ein komplexer Prozess. Neben Ernährung und Lebensstil spielen viele weitere Faktoren hinein: Schlafmangel, Stress und Traumata, Hormone, die familiäre Disposition, Medikamente oder schlichtweg – das Alter. Ab etwa 40 Jahren nimmt die Muskelmasse ab, Stoffwechsel und Hormonhaushalt ändern sich, das Gewicht steigt meist schleichend. Auch bei gleichen Essgewohnheiten kann das ein Kilo mehr pro Jahr ausmachen. Doch da gibt es noch einen weiteren, häufig übersehenen Faktor, der maßgeblich Einfluss darauf hat, ob wir unser Gewicht halten oder zunehmen: der Darm bzw. die dort lebenden Mikroorganismen – unser Mikrobiom. Das beeinflusst nämlich, wie viele Kalorien aus unserer Nahrung wir aufnehmen und in Fettpolster umwandeln. „Die Zusammensetzung der Darmflora hat einen großen Einfluss auf unser Gewicht“, erklärt Ernährungswissenschafterin und Dipl. Fachberaterin für Darmgesundheit Veronika Macek-Strokosch. „Unterschiedliche Studien haben gezeigt, dass bei Übergewichtigen die Besiedelung der Darmflora anders ist als bei Normalgewichtigen.“
Darmbakterien steuern Essverhalten – und umgekehrt
Wenn es um das Körpergewicht und die Verstoffwechselung von Nahrung geht, sind zwei Bakteriengruppen relevant: die sogenannten Bacteroidetes (umgangssprachlich „Schlankmacher-Bakterien“) und die Firmicutes (ugs. „Dickmacher-Bakterien“). Normalerweise sind Firmicutes und Bacteroidetes in einem ausgewogenen Verhältnis im Darm vorhanden. Übergewichtige Personen weisen im Darm hingegen eine sehr hohe Konzentration von Firmicutes auf, und diese verstehen es besonders gut, viele Kalorien aus der Nahrung aufzunehmen – sozusagen als „Polster“ für schlechte Zeiten. In manchen Fällen kann das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroidetes sogar auf bis zu 2.000 : 1 verzerrt sein, das bedeutet, der Darm enthält dann 2.000-mal mehr Firmicutes als Bacteroidetes! Schlanke Menschen hingegen besitzen mehr Bakterien vom Stamm der Bacteroidetes, welche die Ausscheidung von überschüssigen Kohlenhydraten mit dem Stuhl fördern. So können die Darmbakterien eines Übergewichtigen bis zu 20 % mehr Kalorien aus derselben Nahrungsmenge extrahieren als die von normalgewichtigen Menschen – und das wirkt sich unmittelbar auf das Körpergewicht aus.
Das Mikrobiom beeinflusst aber nicht nur, wie viele der Kalorien aus der Nahrung in Fett umgewandelt werden, sondern auch unser Essverhalten. „Unsere Darmbewohner steuern, was wir essen wollen“, so Macek-Strokosch weiter. „Die Firmicutes fachen unser Verlangen nach Kohlenhydraten und Süßem an, während sich die Bacteroidetes am liebsten von Ballaststoffen und Gemüse ernähren.“ Und das können wir uns zunutze machen: Denn ernähren wir uns ballaststoffreich, füttern wir die guten „Schlankmacher-Bakterien“. Wenn wir hingegen einseitig essen oder häufig stark verarbeitetes Essen zu uns nehmen, unterstützen wir die dick machenden Bakterien und im Darm entsteht das Ungleichgewicht von zu vielen Firmicutes und zu wenigen Bacteroidetes.
Firmicutes austricksen
So, wie die Darmbakterien unser Essverhalten lenken, können wir umgekehrt über die Nahrung beeinflussen, welche Bakteriengruppe wir „füttern“, also fördern, oder geradewegs aushungern. „Mit gesunder Ernährung tricksen wir die Firmicutes regelrecht aus“, so Macek-Strokosch. Das bedeutet: Weniger Zucker, mehr Eiweiß und Gemüse. Ballaststoffe dienen den „Schlankmacher-Bakterien“ als Nahrungsquelle – sie kommen vor allem in Obst und Gemüse, Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen und Pilzen vor. „Viele Leute essen nicht gerne Gemüse“, weiß die Ernährungswissenschafterin, „aber Pflanzenfasern haben eine herrliche Wirkung im ganzen Körper.“ Das fängt schon beim intensiven Kauen im Mund an: Die Kaumuskulatur wird gefördert, die Fasern „putzen“ dabei die Zähne, die Verdauung wird vorbereitet, und im Darm angelangt, reinigen die Pflanzenfasern wie ein Besen die Darmwände. Die guten Darmbakterien verstoffwechseln die Fasern und bilden daraus kurzkettige Fettsäuren, die den pH-Wert senken und so verhindern, dass sich krankmachende Keime ausbreiten. Darüber hinaus haben sie eine stimmungsaufhellende und entzündungshemmende Wirkung.
Probiotika für Gleichgewicht im Darm
Unsere Darmbakterien reagieren beeindruckend schnell auf eine Ernährungsumstellung: Bereits innerhalb von 24 Stunden kommt es zu einer veränderten Zusammensetzung des Mikrobioms, also zu einer Stärkung der Bacteroidetes – was aber nur bei einer längerfristigen Veränderung der Ernährungsgewohnheiten einen nachhaltigen Erfolg zeigt. Um sich sein eigenes Essverhalten – und ob es dem Wunschgewicht und auch dem Wohlbefinden zuträglich ist – bewusst zu machen, empfiehlt es sich, ein Ernährungstagebuch zu führen. Den Weg zur Wunschfigur erleichtern auch Multispezies-Probiotika mit speziell ausgewählten Bakterienstämmen: Diese verdrängen die Firmicutes-Bakterien und gleichen das Ungleichgewicht im Darm aus. Es wird durch immer mehr Studien nachgewiesen, dass sich das Darmmikrobiom sogar auf chronische Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2 oder das Metabolische Syndrom auswirkt. So konnte belegt werden, dass durch die Gabe eines speziellen Multispezies-Probiotikums bei Patienten mit Typ-2-Diabetes die Durchlässigkeit des Darms und das Eindringen von Giftstoffen in den Organismus verringert werden können, was wiederum Entzündungsreaktionen reduziert. In einer anderen Studie wurde nachgewiesen, dass sich dieses Probiotikum auch bei adipösen Frauen nach der Menopause positiv auswirken und sich in einem verringerten Hüftumfang, Fettanteil und Gesamt- sowie LDL-Cholesterin äußern kann.
Stoffwechsel natürlich ankurbeln
Um sich die Ernährungsumstellung noch mehr zu erleichtern, kann man sich auch vom Stoffwechsel-Aktivator Bittergurke helfen lassen. Nicht umsonst genießt die Bittergurke im asiatischen Raum einen hohen Stellenwert, da sie mit ihren bitteren Pflanzenstoffen den Gastrointestinaltrakt unterstützt und zu einer Ausschüttung von Gallensäuren führt. Ein toller Nebeneffekt für alle, die weniger Zucker zu sich nehmen wollen: Die in der Bittergurke enthaltenen Stoffe hemmen den Heißhunger auf Süßes. Trotz der Unterstützung aus der Natur: Eine „Schnellstraße“ zum Wohlfühlgewicht gibt es nicht – den Weg dorthin muss man tagtäglich selbst gehen. Mit einem Darm im Gleichgewicht hat man aber einen Verbündeten, der einem diesen Weg erleichtert.