Thore Hansen
Fettleber ohne Alkohol: Wie der Darm unsere Leber schützt
Die Leber ist das zentrale Organ unseres Stoffwechsels und gleich mehrfach lebenswichtig. Ist sie überlastet, leidet sie still und gleichzeitig gibt es kaum ein Organ, das sich so gut wieder erholen kann, wenn man seinen Lebenswandel anpasst. Früher dachten die Menschen, dass die Leber der Sitz der Gefühle sei. Deshalb sagt man auch heute noch “Mir ist etwas über die Leber gelaufen”, wenn man sich nicht gut fühlt. Seit einiger Zeit wird immer deutlicher, wie sehr eine gesunde Leber auch von einem gesunden Darm abhängt und welchen enormen Einfluss die beiden Organe aufeinander haben.
Die Leber ist unser zentrales Entgiftungs- und Stoffwechselorgan. Sie ist mit etwa 1,5 kg Gewicht eines der größten inneren Organe und die größte Drüse in unserem Körper. Alles, was wir zu uns nehmen, ob Nahrung, Medikamente oder Schadstoffe wie Alkohol oder Umweltgifte, muss von der Leber abgebaut werden. Das Organ hat eine wichtige Funktion für den gesamten Stoffwechsel des Menschen. Über den Darm gelangen Nährstoffe aus unserer Nahrung in den Blutkreislauf und über die sogenannte Leberpfortader direkt in die Leber. Dort werden sie verwertet, gespeichert, umgewandelt oder abgebaut. Wenn die Nährstoffe nicht unmittelbar vom Körper gebraucht werden, speichert die Leber in ihren Zellen vor allem Zucker, aber auch Fette. Zucker wird als Glykogen in der Leber gespeichert und als Glukose (Traubenzucker) ins Blut abgegeben, wenn der Blutzuckerspiegel akut sinkt. Darüber hinaus speichert die Leber Vitamine (Vitamin A, B12, Folsäure) und Metalle (Eisen und Kupfer). Sie produziert zudem die Faktoren, die das Blut bei Verletzungen gerinnen lassen, bildet Eiweiße für den Transport von Fetten und Hormonen sowie einen Großteil des körpereigenen Cholesterins – und das alles ist nur ein Bruchteil ihrer Leistung: „Die Leber hat rund 500 Funktionen. Ich kann sie nicht alle aufzählen, aber das Organ wird schon in der chinesischen Mythologie nicht umsonst als die „Mutter“ gesehen und das Herz als „Kind.“ In der gesamten Antike wurde die Leber auch die Seele des Körpers genannt. Und das ist richtig, denn: Geht es der Leber schlecht, geht es auch anderen Organen schlecht“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Ali E. Canbay, der sich auf die Vorbeugung und Behandlung schwerer Lebererkrankungen spezialisiert hat.
Die wesentliche Leistung der Leber ist die Entgiftung. Selbst giftiges Ammoniak wandelt sie in Harnstoff um sowie Alkohol in Fett, weshalb ein zu starker Alkoholgenuss den Fettgehalt des Körpers erhöht. Die Leber filtert zudem Hormone, defekte Zellen, Bakterien, Schadstoffe und Medikamente aus dem Blut. Alles in allem eine enorme Leistung, die aber immer häufiger durch unseren Lebensstil überstrapaziert wird: „Unser westlicher Lebensstil ist nicht gerade förderlich für eine gesunde Leber, aber kein Organ verzeiht so viel wie sie. Es gibt kein anderes Organ mit einer solchen Regenerationsfähigkeit. Hat ein Patient z. B. eine alkoholbedingte Fettleber, kann der Verzicht auf Alkohol dazu führen, dass sich die Leber in nur wenigen Monaten komplett erholt“, so Prof. Canbay.
Woran merkt man, dass die Leber krank ist?
Dass es unserer Leber nicht gut geht, wird meistens erst bemerkt, wenn die Leberwerte im Blut bereits auf eine Schädigung der Leberzellen hinweisen. Die häufigsten Ursachen für Lebererkrankungen sind Alkohol, Übergewicht, eine fettreiche Ernährung, Medikamente, aber auch eine Ansammlung von anderen Schadstoffen (z. B. von Drogen, Umweltgiften), des Weiteren Erreger wie Viren (z. B. Hepatitisviren) oder Bakterien sowie Gallenwegs- und Gallensteinerkrankungen. Die häufigste Form der Lebererkrankungen ist die Fettleber – bereits jeder dritte erwachsene Europäer ist davon betroffen, Tendenz steigend. Sie entsteht, wenn die Leber aufgrund des Lebensstils mehr Fette speichert, als es abgeben kann. Eine Fettleber bleibt meist über viele Jahre unentdeckt, verursacht dann aber massive Beschwerden. „Eine kranke Leber schädigt zum Beispiel das Herz und das muskuläre System. Wer mit 35 Jahren schon eine Fettleber entwickelt, dem gebe ich Brief und Siegel, dass sich mit 65 der Herzinfarkt ankündigt. Erste Anzeichen einer Lebererkrankung, die man ernst nehmen sollte, sind oftmalige Abgeschlagenheit, Müdigkeit oder auch ein Druckgefühl im rechten Oberbauch. Weitere Symptome sind dann schon besorgniserregender. Eine Gelbfärbung der Augen und Haut, Juckreiz, Erbrechen oder Schmerzen in der Lebergegend. Schließlich kommt es zu Blutungen im Magen-Darm-Trakt, einer vergrößerten Milz und einer höheren Anfälligkeit für Infektionen. Allesamt Anzeichen einer Leberzirrhose. Die Leber sendet keine Schmerzreize aus. Genau deshalb sollten regelmäßige Blutuntersuchungen erfolgen, um eine böse Überraschung zu vermeiden, und das gilt nicht nur für ältere Menschen“, führt Univ.-Prof. Dr. med. Ali E. Canbay aus.
Landläufig herrscht noch die Meinung vor, dass ein Leberschaden vor allem durch einen hohen Alkoholkonsum heraufbeschworen werde. Das ist aber ein Irrglaube: Mediziner entdecken immer häufiger Leberschäden bei Menschen, die keinen oder nur wenig Alkohol konsumieren. „Inzwischen haben rund 25 % der Weltbevölkerung eine nichtalkoholische Fettleber und der Anteil wird in den kommenden Jahren weiter wachsen“, weiß Prof. Canbay. Von dieser nichtalkoholischen Fettleber sind überwiegend Frauen, Diabetiker und adipöse Menschen betroffen. Aber auch die alkoholische Fettleber stellt natürlich ein großes gesundheitliches Problem dar. Die Fettleber (in der Fachsprache: Steatosis hepatis) kann je nach Schweregrad in drei Stufen eingeteilt werden:
- Grad 1: milde Fettleber (Fetteinlagerung in < 1/3 der Leberzellen)
- Grad 2: mäßige Fettleber (Fetteinlagerung in < 2/3 der Leberzellen)
- Grad 3: schwere Fettleber (Fetteinlagerung in > 2/3 der Leberzellen)
Tritt im Rahmen einer Leberverfettung eine entzündliche Reaktion auf, spricht man von einer Steatohepatitis. Diese kann ebenso in eine nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH) und in eine alkoholische Steatohepatitis (ASH) untergliedert werden. Aus der Leberentzündung entwickelt sich ohne eine konsequente Veränderung des Lebenswandels eine Leberfibrose: Dabei wird das Lebergewebe zunehmend „umgebaut“ und durch Bindegewebe ersetzt. In der Leber ist also weniger funktionsfähiges Gewebe für die Erfüllung der zahlreichen Aufgaben vorhanden. Dieser Prozess ist in der Regel irreversibel. Im Anschluss kann sich daraus eine Schrumpfleber (Leberzirrhose) entwickeln. Die Leberzirrhose stellt das Endstadium von chronischen Lebererkrankungen dar und geht mit einer deutlich verkürzten Lebenserwartung einher. In Industrienationen sind etwa 250 von 100.000 Menschen davon betroffen, etwa doppelt so viele Männer wie Frauen. Von der nichtalkoholischen Fettleberentzündung (NASH) ausgehend, entwickeln 10 bis 20 % der Patienten eine Leberfibrose, und davon wieder 5 % eine Leberzirrhose. Liegt eine alkoholische Fettleberentzündung (ASH) vor, erleiden bis zu 30 % der Personen eine Leberzirrhose. In diesem Stadium hilft nur noch eine Lebertransplantation.
Die Grenze zwischen alkoholisch und nicht alkoholisch bedingten Leberschäden verschwimmt jedoch zusehends: „In unseren Breitengraden haben wir es oft mit Menschen zu tun, die beide Probleme aufweisen. Sie trinken moderat Alkohol, sind aber fettleibig und machen darüber hinaus zu wenig Bewegung. Da genügt bereits ein Glas Rotwein am Tag und sie entwickeln trotzdem eine Leberzirrhose“, betont Univ.-Prof. Dr. med. Ali E. Canbay und veranschaulicht jene Verhaltensweise, die diese Entwicklung begünstigt: „Ein Löwe erlegt seine Beute und frisst nur so viel, wie er im Moment benötigt. Wir aber gehen durch eine Einkaufsstraße, riechen eine Bratwurst, essen sie, gehen weiter, stoßen auf einen Stand mit leckerem Döner und folgen dem nächsten Reiz. Wir sind ständig dabei, uns zu überlasten, und geraten so an die für die Leber relevanten Grenzen. Kommt zum Schlemmen noch regelmäßig reichlich Fruktose hinzu, ist das die Hölle für die Leber. Wir denken, ein Orangensaft sei gesund, und vergessen dabei, dass das bedeutet, fünf, sechs, sieben Orangen auf einmal zu essen. Auch das ist eine extreme Belastung für die Leber.“
Berauschte Leber ohne Alkoholkonsum
„Wo einmal meine Leber war, steht heute eine Minibar“, heißt es im Volksmund. Doch nicht nur konsumierter Alkohol schädigt die Leber, auch ein geschädigtes Darmmikrobiom kann an der Entstehung von Leberproblemen beteiligt sein. Anlass zu weiteren Untersuchungen gab ein Patient, der nach einer kohlenhydratreichen Ernährung an einer Leberentzündung litt. Er trank nachweislich keinen Alkohol und zeigte dennoch eine Blutalkoholkonzentration von etwa 0,4 Promille. Dieses Phänomen wird als bakterielles „Eigenbrauer-Syndrom“ bezeichnet. Dabei produzieren bestimmte Bakterien im Darm Ethanol. Das kann tatsächlich dazu führen, dass Betroffene betrunken werden, ohne bewusst einen Tropfen Alkohol zu sich genommen zu haben. Schließlich isolierten Forscher einen speziellen Bakterienstamm und verabreichten ihn Mäusen, die daraufhin eine Fettleber entwickelten. „Das Phänomen zeigt deutlich, dass wir die Leber nicht isoliert betrachten können. In kleinen Mengen verstoffwechseln weitaus mehr Menschen unbemerkt Kohlenhydrate wie Zucker zu Alkohol, als man es glaubt. Dabei kommen eben Bakterien im Darm ins Spiel, die für diesen Prozess verantwortlich sind“, erklärt Prof. Canbay.
Weil der Alkoholspiegel im Gefäßsystem aufgrund der im Darm produzierten vergleichsweise geringen Alkoholmenge nur minimal verändert ist, spürt man die darmeigene Alkoholproduktion nicht. Dennoch ist das eine unbemerkte Dauerbelastung der Leber. Ein typisch westlicher Lebensstil führt außerdem häufig zu einer Milieuänderung im Darm, was die Darmbakterien in ihrer Zusammensetzung verändert und die Ansiedelung von Bakterien begünstigt, die zusätzliches Ethanol produzieren. Aufgrund einer durchlässigen Darmwand, die ebenfalls durch den schädlichen Lebensstil begünstigt wird, gelangen die Giftstoffe nahezu ungefiltert in die Leber – ein Teufelskreis entsteht. Sich die Rolle des Darms bei Lebererkrankungen genauer anzusehen, hat nicht nur viel zum Verständnis der Zusammenhänge zwischen diesen beiden Organen beigetragen. Es entstanden auch neue Ansätze, um die Gesundheit beider Organe zu fördern, und Probiotika machen einen wesentlichen Teil neuer Therapieansätze aus.
Darm-Leber-Achse: Wie Probiotika die Leber unterstützen können
Zu den spannendsten Erkenntnissen der Mikrobiomforschung gehört die Tatsache, dass Darmbakterien andere Organe in ihrer Funktion beeinflussen können. In direkter Nachbarschaft betrifft das auch die Leber. Prof. Canbay erklärt den Zusammenhang: „Wenn wir über die Darm-Leber-Achse sprechen, beginnt alles mit der Nahrung, die über Mund und Magen in den Darm gelangt. Hier verwerten bestimmte Bakterien die Nahrung, d. h., sie metabolisieren sie, und dann kommen die Nährstoffe direkt über die Blutbahn in die Leber. Viele kleine Blutgefäße, die vom Darm wegführen, münden in der Leberpfortader, die alle aufgenommenen Stoffe gesammelt in die Entgiftungszentrale transportiert. Die Leber setzt Gallensäure frei und diese beeinflusst wiederum die Zusammensetzung des Mikrobioms. Es wird ein Kreislauf zwischen dem Mikrobiom und der Leber gebildet. Das hat zum Beispiel auch einen unmittelbaren Effekt auf die Wirksamkeit von Medikamenten. Je höher die Diversität des Mikrobioms ist, desto besser können Medikamente im Darm verstoffwechselt und anschließend in der Leber abgebaut bzw. verwertet werden.“
Unter normalen Bedingungen, wenn die Darmbarriere intakt ist, gelangen nur wenige bakterielle Bestandteile (z. B. Endotoxine, bakterielle DNA) oder Schad- und Giftstoffe in das Blut und werden dann in der Leber rasch abgebaut. Bei einer Störung der Darmbarriere kommt es nicht nur zu einer Überlastung der Leber und zu ihrer Entzündung. Wenn die schädlichen Stoffe nicht mehr abgebaut werden können und in die Blutzirkulation gelangen, werden Immunzellen aktiviert, die auch in anderen Organen Schaden anrichten können. Das Fettgewebe steht ebenso in engem Zusammenhang mit der Leber und dem Stoffwechsel. Botenstoffe aus dem Fettgewebe, vor allem aus jenem am Bauch, können in der Leber den Zuckerstoffwechsel negativ beeinflussen und eine Form der Zuckerkrankheit auslösen. Diese wiederum führt zu einer Fetteinlagerung in den Leberzellen und somit zur Fettleber. Bei Leberzirrhose, dem Endstadium chronischer Lebererkrankungen, ist die Zusammensetzung der Darmflora nachweislich verändert, die Darmbarriere gestört und dadurch stärker durchlässig. Infolgedessen kommt es zu einer Verschlechterung der Leberfunktion und die Patienten werden vermehrt infektionsanfällig. Hier bietet die gezielte Modulation der Darmflora durch speziell entwickelte Multispezies-Probiotika neue Therapiemöglichkeiten: „Erste Studien konnten belegen, dass die Zufuhr von speziellen Probiotika sowohl bei Leberzirrhose als auch bei Fettleber die Leberwerte und -funktion verbesserte. Natürlich sind auch eine dauerhafte Ernährungsumstellung und mehr Bewegung wichtig, aber das Probiotikum ist entscheidend, um das bakterielle Gleichgewicht im Darm wiederherzustellen und so die Leber vor weiteren Belastungen zu bewahren, weshalb ich das meinen Patienten mit Leberproblemen empfehle.“
Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie untersuchte den Einfluss eines Multispezies-Probiotikums auf Patienten mit stabiler Leberzirrhose. Nach sechsmonatiger Anwendung zeigte sich in der Probiotika-Gruppe eine eindrucksvolle Verbesserung der Leberfunktion. Auch die zelluläre und die antimikrobielle Immunantwort wurden klar verbessert – ein wichtiger Faktor für infektanfällige Patienten mit Leberzirrhose. Darüber hinaus ließen sich Trends einer deutlichen Steigerung der Lebensqualität beobachten. Des Weiteren wurde der Einfluss des Probiotikums auf die Darmflora der Patienten analysiert, mit äußerst ermutigenden Ergebnissen: Es kam unter anderem zu einer vermehrten Ansiedelung verschiedener Bakterienstämme, welche wichtige kurzkettige Fettsäuren (SCFA) produzieren. Diese Fettsäuren reduzieren unter anderem Entzündungen im Darm und verbessern die Funktion der Darmbarriere. Das heißt, es gelangen weniger schädliche Substanzen aus dem Darm in die Leber, und damit bekommt dieses Organ die Gelegenheit zur Regeneration – und die Möglichkeit, seine zentralen Funktionen für unsere Gesundheit wieder besser zu erfüllen.
Über Univ.-Prof. Dr. med. Ali E. Canbay
Univ.-Prof. Dr. med. Ali E. Canbay ist Klinikdirektor sowie Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie am Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum. Der national und international anerkannter Mediziner ist auf die Behandlung, Vorbeugung und Erforschung von Leberzirrhose, akutem Leberversagen sowie Leber- und Gallengangtumoren spezialisiert.