Darm-Hirn-Achse

Univ.-Prof. Dr. Peter Holzer

Univ.-Prof. Dr. Peter Holzer*

Mag. Anita Frauwallner interviewt Univ.-Prof. Dr. Peter Holzer, einen jener österreichischen Wissenschafter, die Weltruhm genießen: Er konnte nachweisen, dass enge Zusammenhänge zwischen dem Milieu in unserem Bauch und dem Gehirn existieren. Außerdem zeigte er, dass es das „Bauchgefühl“ wirklich gibt, nämlich dass die Botschaften, die von unserem Darm ausgehen, tatsächlich nachgewiesen werden können und eine enorme Auswirkung auf körperliche und seelische Gesundheit oder eben Krankheit haben.

Mag. Frauwallner: Lange hat man gedacht, dass der Darm nur ein Verdauungsschlauch sei, und keine weitere Bedeutung habe. Heute wissen wir, dass man dieses Organ mit solch einer Ansicht gewaltig unterschätzt hat. Er ist nicht nur für die 30 Tonnen Nahrung zuständig, die wir im Laufe unseres Lebens durchschleusen, sondern schützt uns auch vor Krankheiten. Sie haben die Nervenverbindungen zwischen dem Darm und unserem Gehirn untersucht, daher meine Frage: Was versteht man unter der Bauch-Hirn-Achse und welche Auswirkungen hat sie auf den Menschen?

Prof. Holzer:Unter der Bauch-Hirn-Achse, oder wissenschaftlich genauer Darm-Hirn- Achse, versteht man die enge Verbindung und den intensiven Informationsaustausch zwischen dem Darm und dem Gehirn, und zwar in beiden Richtungen. Sowohl der Darm als auch das Gehirn sind lebenswichtige Organe, und damit wir als Organismus gut funktionieren und uns gesund und wohl fühlen, müssen die Aktivität des Darms und jene des Gehirns gut aufeinander abgestimmt sein. Wenn es Probleme mit einem der Organe gibt, kann deshalb auch sehr oft das andere Organ betroffen sein. Um die Darm-Hirn-Achse zu verstehen, müssen wir auch wissen, wie die beiden Organe miteinander kommunizieren, nämlich über Nerven, Hormone, Immunbotenstoffe und mikrobielle Botenstoffe.

Mag. Frauwallner: Das Darmhirn kann zwar nicht richtig „denken“, aber es verwendet dieselben Botenstoffe wie das Kopfhirn und beeinflusst damit, was wir fühlen und wie wir denken. Man hört immer wieder, dass es wissenschaftliche Nachweise dafür gibt, dass Stress die kognitiven Leistungen einschränkt. Liegen dafür tatsächlich Beweise vor?

Prof. Holzer:Ja, für einen Zusammenhang zwischen Stress, Emotion, Stimmung, Lernen und Gedächtnis gibt es viele experimentelle Hinweise. Dabei ist es auch wichtig zu definieren, was man mit Stress meint. Nicht jeder Stress ist schlecht, aber chronischer Stress, dem man aufgrund seiner privaten oder beruflichen Situation nicht entkommen kann, kann schwerwiegende Auswirkungen auf das Gehirn und andere Organe (Herz, Kreislauf, Darm u.a.) haben. Stress wirkt ja zunächst auf das Gehirn ein, das daraufhin eine Stressreaktion auslöst, um mit ihm fertig zu werden. Wenn der Stress aber nicht verschwindet, wie es bei chronischem Stress der Fall ist, bleibt die Stressreaktion aufrecht und kann schwerwiegende Auswirkungen auf viele Organe – auch auf das Gehirn – haben. Ständig erhöhte Spiegel von Stresshormonen wie von Cortisol haben einen negativen Einfluss auf Gehirnregionen (Hippocampus), die für Lernen und Gedächtnis wichtig sind, und aktivieren andererseits Gehirnregionen (Amygdala), die auf die Emotions- und Stimmungslage entscheidenden Einfluss haben.

„Um die Darm-Hirn-Achse zu verstehen, müssen wir auch wissen, wie die beiden Organe miteinander kommunizieren.“

Mag. Frauwallner: Früher, als wir Menschen noch in Höhlen lebten, war es einfacher. Wenn man mit einer Bedrohung konfrontiert war, dann hatte man lediglich zwei Optionen – „fight or flight“, also gegen den Feind zu kämpfen oder davonzurennen. Das ist heute nicht mehrmöglich, denn wer kann einfach von seinem Arbeitsplatz wegrennen, bloß weil die Kunden stressen und der Chef schreit? Das bedeutet aber dann, dass wir Stresshormone in Unmengen produzieren, die wir aber nicht durch erhöhte Leistung des Körpers abarbeiten können.

Prof. Holzer: Von Urbeginn an verfügen wir über eine neuroendokrine Funktionsachse, die uns nur Kampf oder Flucht als Wahlmöglichkeiten anbietet. Heute wird durch Dauerstress ständig Cortisol produziert, dies verändert die Rezeptoren. Cortisol sollte Entzündungen hemmen, schafft das aber nicht mehr. Die Folge sind gesundheitliche Probleme.

Mag. Frauwallner: Ich höre immer wieder von Betroffenen, dass sie unter Stress auch nachts nicht zur Ruhe kommen, das betrifft unsere Leistungssportler vor einem Wettkampf genauso wie Topmanager während Krisenzeiten. Lässt Stress die Menschen tatsächlich schlechter schlafen? Und ist in weiterer Folge der Serotonin- und Melatonin-Haushalt bei gestressten Personen gestört?

Prof. Holzer: Aus dem vorhin Gesagten ist klar geworden, dass chronischer Stress auf bestimmte Hirnregionen (das sogenannte limbische System) in einer Weise einwirkt, die das emotionale Gleichgewicht stört. Im Extremfall können sich daraus Angsterkrankungen und Depressionen entwickeln. Nicht zuletzt deshalb zählen ja Depressionen zu den stressassoziierten Erkrankungen, mit dem Diagnosebild Burnout als einem Vorläufer. Wenn man die Situation im Gehirn von Depressiven genauer ansieht, findet man, dass viele Hirnregionen und viele Überträgerstoffe betroffen sind: Serotonin, Noradrenalin, Glutamat, Neuropeptid Y und wahrscheinlich ein Dutzend anderer Botenstoffe. Melatonin ist entscheidend am Tag- und Nachtrhythmus beteiligt, ein Rhythmus, der bei Depression gestört ist, der aber genauso bei Stress und emotionalem Ungleichgewicht durcheinanderkommt.

Mag. Frauwallner: An der Universität Innsbruck wurde gezeigt, dass permanenter Stress dazu führt, dass sich im Darm großflächige Entzündungen bilden, was enorme Auswirkungen auf die Darmbarriere und auf die Produktion von Hormonen und anderen Botenstoffen hat. Die Darmbakterien sterben ab, die Membranproteine der „Tight Junctions“ lösen sich auf, Giftstoffe und Allergene können bis ins Blut gelangen. Man nimmt an, dass diese „Silent Inflammation“ sogar die Ursache von Alzheimer und Demenz sein könnte.

Prof. Holzer: Das kann ich nur bestätigen. Es gibt sehr viele Forschungen – auch beim Menschen – zu den neurotoxischen Effekten. Man weiß heute, dass alle Signalwege im Körper durch die Bakterien im Darm beeinflusst werden. Das Immunsystem ebenso wie unser Stoffwechsel oder psychische Reaktionen.

Mag. Frauwallner: Das heißt also, dass Stress auch körperliche Beeinträchtigungen hervorrufen kann, speziell das Immunsystem so negativ beeinflussen kann, dass Menschen dann leichter krank werden.

Prof. Holzer: Das Stresshormon Cortisol ist ja für seine entzündungshemmende Wirkung bekannt, die über das Immunsystem zustande kommt. Stress hemmt das Immunsystem, sodass die Krankheits- und Infektanfälligkeit steigen. Das ist aber nicht die einzige Auswirkung von Stress auf den Körper. Über das autonome Nervensystem kommuniziert das stressgeplagte Gehirn mit fast allen Organen und kann deren Funktion beeinflussen und sie dauerhaft in eine Situation versetzen, die einem akuten Notfall entspricht. Das hat Einfluss auf Herz und Kreislauf, aber auch auf den Darm. Über welche Mechanismen die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut bei chronischem Stress steigt, ist nach wie vor nicht im Detail bekannt. Die erhöhte Durchlässigkeit bringt aber eine Menge Probleme für den Darm, denn plötzlich kommen Dinge (Toxine, Krankheitserreger) in die Darmwand, die dort eigentlich nichts zu suchen haben. Außerdem wird das Gleichgewicht zwischen dem Darmmikrobiom und dem Darmimmunsystem gestört und infolgedessen eine Entzündungsreaktion ausgelöst, die über die Darm-Hirn-Achse wiederum die Gehirnfunktion negativ beeinflussen kann.

Mag. Frauwallner: Was erwarten Sie in der nächsten Zeit an neuen Studien, neuen Erkenntnissen zum Thema Stress, woran forschen Sie zur Zeit selbst?

Prof. Holzer: Wir haben seit den Zeiten des Stressforschungspioniers Hans Selye sehr viel über die Stressreaktion und ihre Auswirkungen auf verschiedene Organsysteme gelernt. Was die Stressreaktionen jedoch im Detail auf molekularer Ebene in den verschiedenen Organen bewirken, ist noch längst nicht vollständig geklärt. Der Zusammenhang von Stress und Entzündung ist ein solches Beispiel, denn er ist sicher nicht ausschließlich nur über Cortisol erklärbar. Chronische Entzündung ist ja eine Reaktion, die an sehr vielen Erkrankungen beteiligt ist. Diese kann selbst wiederum als endogener Stress angesehen werden. Deshalb kommen sich Stressund Entzündungsforschung immer näher. Auch im Gehirn laufen entzündliche Prozesse ab, die bei chronischem Schmerz, aber auch bei psychiatrischen Erkrankungen eine Rolle spielen. Solche Zusammenhänge werden auch im Doktoratskolleg „Molekulare Grundlagen der Entzündung“ an der Medizinischen Universität Graz von einer Gruppe hochqualifizierter Studierender bearbeitet, an deren Betreuung ich beteiligt bin.Mag. Anita Frauwallner interviewt Univ.-Prof. Dr. Peter Holzer

Mag. Frauwallner: Zum Ende dieses Gesprächs möchte ich noch auf das Thema Probiotika und Stress kommen. Es wurden bereits spezifische Probiotika entwickelt, die entzündungshemmend auf die Darmschleimhaut wirken und so einen positiven Einfluss auf die Darm-Hirn- Achse nehmen können. Gibt es für diese Wirkung der Probiotika bereits wissenschaftlich überzeugende Arbeiten?

Prof. Holzer: Eine exzellente Arbeit wurde 2011 in PNAS publiziert, welche die gesamte Forschungswelt in Aufruhr brachte. Die probiotikagefütterten Mäuse waren viel stressresistenter als ihre Artgenossen und es zeigte sich, dass durch die Gabe von probiotischen Darmbakterien das Verhalten eindeutig positiv stimulierbar war.

Mag. Frauwallner: Ist das bei Menschen auch so?

Prof. Holzer: Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Speziell, dass durch die Gabe von medizinisch relevanten Probiotika das Ausmaß an Konzentrationsfähigkeit steigt und die emotionale Stabilität verbessert wird.

Mag. Frauwallner: Herzlichen Dank für diese interessante Diskussion.

 

*Professor Holzer lebt und arbeitet in Graz, ist Dekan für Doktoratsstudien der medizinischen Universität. Er schloss sein Studium mit der allerhöchsten Auszeichnung ab – „sub auspiciis praesidentis“. Seit vielen Jahren hat er den einzigen Lehrstuhl Österreichs als Universitätsprofessor für Experimentelle Neurogastroenterologie inne und steht auch der Initiative Gehirnforschung vor.

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