Parkinson beginnt im Darm
Fast eine halbe Million Menschen sind in Mitteleuropa von der Parkinson-Erkrankung betroffen, einer neurodegenerativen Störung mit charakteristischen motorischen Symptomen. Eine aktuelle Studie, die kürzlich in Neurology publiziert wurde, weist darauf hin, dass der Verdauungstrakt dabei eine Rolle spielen könnte und die Krankheit sogar dort ihren Ausgang nehmen könnte.
Das Team um Studienautorin Bojing Liu vom Karolinska-Institut in Stockholm vermutet, das Parkinson zunächst im Darmtrakt beginnt und erst danach über den Vagus-Nerv das Gehirn erreicht. Der Vagus ist der zehnte Hirnnerv, der vom Hirnstamm aus das gesamte Abdomen versorgt. Er sendet Nervenfasern zu Hals, Kehlkopf, Luftröhre, Lungen, Herz, Speiseröhre und Verdauungstrakt und kontrolliert auf diese Weise wichtige Körperfunktionen wie Herzschlagfrequenz und Verdauung.
Frühere Studien haben schon über einen engeren Zusammenhang von Darm und Vagus-Nerv mit dem Auftreten von Parkinson berichtet, aber die empirische Evidenz dazu war bislang eher spärlich und inkonsistent. In der neuen Studie wurde deswegen untersucht, ob eine Vagotomie – ein chirurgischer Eingriff, bei dem bestimmte Ausläufer des Vagus durchtrennt werden – das Risiko von Parkinson reduziert. Ein solcher Eingriff wird typischerweise dann vorgenommen, wenn die Sekretion von Magensäure dauerhaft reduziert werden soll zur Behandlung von Magengeschwüren.
Daten aus dem Nationalregister Schwedens wurden dazu verwendet, um 9.430 Personen miteinander zu vergleichen, die zwischen 1970 und 2010 eine Vagotomie hatten (aus einer Gesamtpopulation von 377.200 registrierten Patienten). Folgeuntersuchungen wurden bis zu 40 Jahre nach dem Eingriff durchgeführt und enthielten unter anderem auch Angaben über das Auftreten von Parkinson. Das erste Ergebnis: Von jenen Personen, bei denen eine Vagotomie vorgenommen wurde, entwickelten 1.07% Parkinson, verglichen mit 1.28% in der Kontrollgruppe ohne Vagotomie (Unterschied statistisch nicht signifikant).
Als man jedoch die zwei Haupttypen von Vagotomie – die selektive und die trunkale – miteinander verglich, beobachtete man ein deutlich geringeres Risiko bei letzterer. Diese besteht aus der vollständigen Entfernung des Hauptstamms des Vagus-Nerven, während die selektive Variante immer nur einen Teil der Endverzweigungen betrifft.
Von den Patienten mit Stamm-Vagotomie entwickelten nur 0.78% Parkinson im Laufe der darauffolgenden 5 Jahre, verglichen mit 1.08% der Patienten mit selektiver Vagotomie. Nach Korrektur der Daten für chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Diabetes, Gefässerkrankungen, Rheuma und Osteoarthritis ergab sich, dass Personen, die nicht länger als 5 Jahre vor der Folgeuntersuchung eine Stamm-Vagotomie hatten, mit 40% geringerer Wahrscheinlichkeit Parkinson entwickelten als Personen ohne diesen chirurgischen Eingriff.
Dieses Ergebnis kann als vorläufige Evidenz dafür genommen werden, dass der Ursprung von Parkinson im Verdauungstrakt liegen könnte. Ein weiteres Indiz dafür ist die Tatsache, dass Parkinson-Patienten vermehrt unter gastrointestinalen Beschwerden leiden, meist in Form von chronischer Verstopfung, die oft bereits Jahre oder sogar Jahrzehnte vor Ausbruch der Krankheit manifest sein kann. Darüber hinaus haben andere Studien gezeigt, dass Personen, die später Parkinson entwickeln, schon früh ein Protein im Darm aufweisen, das eine Schlüsselrolle bei der Erkrankung spielt. Die Forscher glauben, dass der Faltungsprozess dieses Proteins fehlgeleitet ist und dass dieser Fehler sich von Zelle zu Zelle fortpflanzt. Der Vagus-Nerv könnte dabei ein möglicher Transportvektor in Richtung ZNS und Gehirn sein.