Dr. Verena Stiegelbauer, MSc, BSc
Mikrobiom: Teamarbeit für die Gesundheit
Die Wichtigkeit unseres Mikrobioms für die Gesundheit wurde wissenschaftlich eindeutig nachgewiesen – doch wie genau der Mikrokosmos im Darm funktioniert, ist Gegenstand zahlreicher aktueller Forschungsarbeiten. Eine aktuelle Studie liefert wichtige Erkenntnisse darüber, wie die Bakterien im Darm agieren – nämlich zu einem bedeutenden Teil als Team.
Unseren Darm besiedeln Billionen von Bakterien, die uns bei der Verdauung helfen, Vitamine herstellen, unser Immunsystem unterstützen, uns vor Krankheitserregern schützen und Substanzen produzieren, die unseren Stoffwechsel beeinflussen. Die genaue Untersuchung dieser Darmbakterien gestaltete sich bislang kompliziert, da viele der vorhandenen Keime im Labor nicht angezüchtet werden konnten. Erst neueste technische Fortschritte ermöglichen es, Bakterien in Stuhlproben allein auf der Basis ihres Erbmaterials zu identifizieren. Auf diese Weise lässt sich nun bestimmen, welche Organismen unseren Darm besiedeln, welche Funktionen sie dort erfüllen und wie sie sich mit der Umgebung austauschen und somit unsere Gesundheit beeinflussen. Die Zusammensetzung der Darmflora variiert von Mensch zu Mensch, jedoch überlappt sich ein Grossteil der bakteriellen Stoffwechselfunktionen. Daraus lässt sich schliessen, dass Bakterien zusammenarbeiten und ähnliche Stoffwechselprodukte herstellen.
Bakterien arbeiten ganz offensichtlich in Gruppen zusammen, um bestimmte Funktionen optimal auszuüben.
Ein Zusammenspiel von Darmflora und Bakterien
Während in den frühen Jahren der Erforschung der Darmflora hauptsächlich die Wirkung von einzelnen Bakterienarten untersucht wurde, zeigt eine neue Studie erstmals, dass bakterielles „Teamwork“ um ein Vielfaches wichtiger ist als jeder Effekt einzelner Bakterien (Visconti et al. 2019). Das sensationelle Ergebnis: Bakterien arbeiten ganz offensichtlich in Gruppen zusammen, um gewisse Funktionen optimal auszuüben. Sie nutzen gemeinsam die über die Ernährung verfügbaren Ressourcen im Darm und produzieren dabei Substanzen, welche unseren Stoffwechsel sehr stark bestimmen.
Das Besondere an dieser Studie ist, dass man mehr als tausend Zwillinge untersucht hat. Dadurch war es möglich, sichere Aussagen darüber zu machen, wie sich Menschen in Bezug auf ihre Darmbakterien unterscheiden und wie sich die Unterschiede auf jene Funktionen im Körper auswirken, die von unterschiedlichen Bakterien ausgeübt werden. Obwohl nämlich alle Menschen zusammen nur 43% der bekannten Bakterienspezies miteinander teilen, sind nicht weniger als 82% der Funktionen jener Mikroorganismen identisch. Das bedeutet, dass unterschiedliche Bakterien in der Lage sind, ähnliche Funktionen zu erfüllen.
Im Labor untersuchte man Hunderte von Bakterien produzierte Stoffe sowohl in Proben aus dem Darm als auch im Blut und ermittelte, ob diese eher von einzelnen Bakterien hergestellt werden oder ob es nur durch ein Team von Bakterien möglich ist, die besagten Substanzen zu produzieren.
Die Forscher fanden heraus, dass beinahe die Hälfte der im Blut bestimmten Stoffe auch mit dem Vorhandensein bestimmter Teams von Bakterien im Darm zusammenhängen. Bestimmte Stoffwechselfunktionen und wichtige Funktionen für das Immunsystem waren bei bakteriellen Gemeinschaften achtmal stärker ausgeprägt als bei einzelnen Bakterienarten. Dieses Ergebnis zeigt: Hinsichtlich des menschlichen Stoffwechsels existiert ein intensiver Austausch zwischen Darm und Blutkreislauf. Das verdeutlicht nochmals, dass unsere Darmbakterien sehr eng mit unserer Gesundheit in Verbindung stehen.
Die Grafik zeigt, welche Bakterienspezies und welche Stoffwechselprozesse wie häufig in den Studienteilnehmern nachgewiesen werden konnten: Zwar werden nur 8% der Bakterienspezies in 75% der Probanden nachgewiesen – dafür aber 57% der gleichen Stoffwechselprozesse in derselben Personenanzahl. Das belegt, dass Stoffwechselprozesse nicht von einer einzelnen Bakterienspezies gesteuert werden, sondern von einem Team.
Eine Bakterienvielfalt ist für unseren Darm wichtig
Bei der Laboruntersuchung dieser insgesamt 1.004 Probanden wurde herausgefunden, dass es doppelt so viele identische Stoffwechseltätigkeiten wie Bakterienarten gibt. Die Studie zeigt somit auf, wie wichtig jene Gemeinschaften aus Bakterien sind und dass eine Vielfalt guter Bakterien von besonderer Bedeutung für die Gesundheit ist. Nur 12% aller vorhandenen Bakterien waren als „Einzelkämpfer“ an Stoffwechseltätigkeiten beteiligt, während sich 67% des Geschehens auf zusammenarbeitende Gruppen guter Bakterien zurückführen liessen. Die vielfältige Gemeinschaft der Darmbewohner spielt somit eine wichtige Rolle für die menschliche Gesundheit und eine gestörte Zusammensetzung jener Mikroorganismen steht in engem Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Krankheiten, von reinen Stoffwechselerkrankungen über solche, welche die Verdauung betreffen, bis hin zu neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer.
Glücklicherweise können wir aber heute die Zusammensetzung unserer Darmflora nicht nur durch Ernährung und Lebensstil, sondern vor allem auch durch die Gabe von wissenschaftlich erforschten Prä- und Probiotika beeinflussen. Demnach empfehlen die Forscher der vorliegenden Studie, dass man bei der Entwicklung von probiotischen Präparaten den Fokus auf Kombinationen von Bakterien sowie auf ihre kollektiven Funktionen und Leistungen legen sollte, anstatt sich nur auf einzelne Bakterienstämme zu konzentrieren.