Thore Hansen
Fasten für die (Darm-)Gesundheit
Fasten ist in allen Kulturen, Weltreligionen und auch bei Naturvölkern verbreitet. Schon die alten Ägypter und die alten Griechen sollen eine gewisse Zeit lang auf Nahrung verzichtet haben. Heute ist das Fasten für viele Menschen längst ein fester Bestandteil ihrer Gesundheitsvorsorge. Essen und Fasten gehören genauso zusammen wie Bewegung und Ruhe. Biologisch und evolutionär ist dieses Wechselspiel für unseren Körper ganz natürlich, denn der Organismus ist grundsätzlich an Zeiten mit wenig oder ohne Nahrung gewöhnt. Es ist schlicht in unserer Evolution angelegt, denn wir hatten nicht immer ein so grosses Nahrungsangebot wie heute und der Körper hat gelernt, auf seine Reserven zuzugreifen.
Wann ist Fasten wirklich Fasten? Die internationale Wissenschaft berücksichtigt vor allem das Intervallfasten und das Heilfasten, bei denen für einen bestimmten Zeitraum auf Nahrung verzichtet wird. Intervallfasten, auch als Kurzzeitfasten oder intermittierendes Fasten bekannt, beginnt ab zwölf Stunden und das Heilfasten ab fünf Tagen. Im weiteren Sinne kann es schon als Fasten angesehen werden, wenn sich jemand vornimmt, über mehrere Wochen auf Alkohol, tierische Produkte und Zucker zu verzichten – dieser Verzicht ist der Gesundheit bereits zuträglich, hat aber natürlich nicht die gleiche Wirkung wie das medizinisch definierte Fasten.
Fasten als Jungbrunnen für den Darm?
Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Begriff „Autophagie“ für Schlagzeilen sorgte. Autophagie ist ein Prozess, der während des Fastens ausgelöst wird. Beim Fasten beginnt eine natürliche Regeneration der Zellen: Schadhafte Zellstrukturen werden erkannt, in kleinste Bausteine zerlegt und über den Stoffwechsel abgebaut oder verwertet. Gleichzeitig werden beschädigte Zellen repariert oder durch neue Zellen ersetzt. Demgemäss lässt sich Autophagie mit „sich selbst verzehren“ übersetzen. Es war der japanische Zellbiologe Yoshinori Ōsumi, der nach Jahrzehnten der Forschung den Prozess der Autophagie entschlüsseln wie auch erklären konnte und 2016 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde. Was schon unsere Vorfahren ahnten, ist also wahr und die Medizin sieht in der Autophagie den Schlüssel zu einer nachhaltig besseren Gesundheit und eine Methode, den Alterungsprozess zu verlangsamen. Wer dem Organismus für eine bestimmte Zeit keinerlei Nährstoffe zuführt, zwingt ihn in den Zustand der Autophagie. Insbesondere um den Prozess der Autophagie auszulösen, bedarf es längerer Pausen in puncto Nahrungsaufnahme. Erst wenn der Insulinspiegel konstant niedrig bleibt, bemerkt der Organismus den Mangel an Energie und beginnt, auf die körpereigenen Reserven zuzugreifen. Erst zehren wir beim Fasten von den Glukosespeichern der Muskeln sowie der Leber. Sind diese geleert, dienen die Fettzellen als Energielieferanten. Damit der Prozess der Autophagie ausgelöst wird, empfehlen Experten ein Intervallfasten von mindestens 14, besser noch 16 Stunden am Stück. Wer den grössten Effekt erzielen will, sollte Wissenschaftlern zufolge deutlich länger auf Nahrung verzichten, denn erst nach ca. 72 Stunden entfaltet sich der volle Effekt der Autophagie in Form der Zellerneuerung. Um dies zu erreichen, wäre das mehrtägige Heilfasten dem etwas komfortableren Intervallfasten vorzuziehen.
Wie der Darm und unsere Darmflora vom Fasten profitieren
Das Mikrobiom im Darm jedes Menschen besteht – im Idealfall – aus mehreren Hundert unterschiedlichen Bakterienarten. Davon kommen ca. 9 % im Darm Menschen vor. Diese sogenannten „Leitkeimstämme“ sind nicht nur in der Lage, den Darm in seiner ganzen Länge zu besiedeln, sondern sie können auch ihre speziellen Eigenschaften mittels horizontalen Gentransfers bei Bedarf blitzschnell auf andere Bakterien übertragen. Deshalb sind sie für unsere Gesundheit von grosser Bedeutung. Und wir wissen durch die Forschung der letzten Jahre, dass die Darmflora den überwiegenden Teil der Abläufe in unserem Körper reguliert und damit eine zentrale Rolle für unsere physische und psychische Gesundheit spielt. Unsere Nahrung wird durch unsere Darmbakterien erst verwertbar, Krankheitserreger werden unschädlich gemacht, Vitamine und Hormone produziert, aber vor allem werden Blut und Lymphflüssigkeit frei von schädlichen Stoffen gehalten, die sonst ungehindert in den gesamten Organismus, am Ende sogar bis ins Gehirn vordringen und dort einen erheblichen Schaden anrichten, den man dann als Kopfschmerzen, als Depression oder im Alter als Demenz erlebt.
Der Lebensstil vieler Menschen ist jedoch der Gesundheit der Darmflora, und damit der Gesundheit im Allgemeinen, abträglich: Stress, Alkohol, Nikotin, Medikamente sowie Nahrung mit zu viel Zucker, Fett und mit Zusatzstoffen schädigen Darm und Mikrobiom – woraus häufig Entzündungen im Darm resultieren, welche die Darmbarriere schädigen können. Die Darmbarriere verhindert im Normalfall, dass schädliche Nahrungsbestandteile, Giftstoffe und Co ins Blut und damit in den gesamten Organismus gelangen. Genau das passiert aber, wenn die Darmbarriere undicht wird. Mit so einem „löchrigen Darm“ (Leaky Gut) ist man zwar nicht schlagartig schwer krank, aber anfällig für Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Allergien, Diabetes Typ 2, Leberfunktionsstörungen und vieles mehr, das uns mit zunehmendem Alter immer stärker belastet.
Darüber hinaus werden viele unserer Körpersysteme, etwa das Herz, unser Immunsystem und unser Kreislauf, durch kalorienreiche Ernährung und Bewegungsmangel belastet. Das Fasten ist ein zielführender Weg, damit sich diese lebensnotwendigen Funktionen regenerieren und normalisieren können, sie finden sozusagen wieder zur Werkseinstellung zurück. Denn das Fasten bewirkt im Körper eine grundlegende Umstellung des Stoffwechsels: Der Körper mobilisiert dabei alle Möglichkeiten, die nötige Energie für das Gehirn und die Organe und Muskeln sofort über den Abbau von Fettreserven bereitzustellen. Jedoch ist auch festzuhalten, dass eine einmalige Fastenkur jene Schäden, die dem Körper über Jahre zugefügt wurden, nicht beseitigen kann. Es bedarf jedenfalls ärztlicher Beratung und Betreuung sowie einer grundlegenden Verbesserung des Lebenswandels, um langfristige Effekte für die Gesundheit zu erzielen.
Insbesondere für den Darm ist das Fasten eine wahre Erholung. Er wird zunächst entlastet, die Darmbarriere hat Gelegenheit zur Regeneration und die Darmflora kann sich in ihrer Zusammensetzung wieder verbessern, wie auch eine aktuelle Studie klar belegt: Es wurde ein erhöhter Spiegel von Butyrat verzeichnet, jener wichtigen kurzkettigen Fettsäure, die von unseren nützlichen Darmbakterien gebildet wird: Sie dient den Zellen der Darmschleimhaut als Energiespender und wirkt entzündungshemmend. Darüber hinaus veränderte sich das Verhältnis zwischen zwei bestimmten Bakterienarten, welche in engem Zusammenhang mit Übergewicht stehen: den Firmicutes und den Bacteroidetes. Bei gesunden, schlanken Menschen sind diese beiden Bakteriengruppen in einem ausgewogenen Verhältnis vorhanden, bei Personen mit Übergewicht hingegen kann das Verhältnis auf bis zu 2.000 : 1 verschoben sein. Doch wie können jene Bakterien Einfluss auf das Gewicht nehmen?
Darmbakterien als Wegbereiter der Wunschfigur?
Zahlreiche Studien bestätigen, dass die Darmflora übergewichtiger Menschen zumeist anders beschaffen ist als jene von normalgewichtigen. Dafür ist ein Überschuss von Firmicutes-Bakterien massgeblich verantwortlich. Wenn im Darm zu viele dieser „Dickmacher“ (der aggressiv ballaststoffspaltenden Clostridien der Gattung Firmicutes) beheimatet sind, hat das einen grossen Haken: Studien zeigen, dass solche Bakterien eigentlich unverdauliche Ballaststoffe aktiv aufspalten und hieraus Energie gewinnen. So nehmen die Betroffenen zusätzlich zu der in der Nahrung regulär enthaltenen Energie bis zu 20 % mehr Kalorien auf, und das jeden Tag! Hinzu kommt, dass sich die Firmicutes besonders wohl fühlen und sich ausgesprochen gut vermehren können, wenn viele Kohlenhydrate (z. B. aus Süssigkeiten, Weissmehlprodukten etc.) konsumiert werden. Das erklärt auch, warum das Fasten bzw. allein der Verzicht auf „schnelle“ Kohlenhydrate die Darmflora günstig verändert – den Firmicutes wird quasi die Lebensgrundlage entzogen.
Evolutionstechnisch betrachtet, ergibt die Existenz der Firmicutes aber durchaus Sinn: Waren unsere Vorfahren „gute Kostverwerter“, hatten sie in Zeiten der Nahrungsknappheit grössere Überlebens- und somit auch Fortpflanzungschancen. Doch heute, in unserer Zeit des Nahrungsüberflusses, sind diese Urbakterien kein Segen mehr, sondern ein Fluch. Wichtig ist jedoch: Auch bei den Firmicutes gibt es „gute“ und „schlechte“ Vertreter der Gattung: Zu den guten Firmicutes zählen in erster Linie unsere Laktobazillen, die den pH-Wert im Darm regulieren und damit die Ansiedelung von schädlichen Keimen verhindern. Schlecht sind hingegen die meisten Arten von Clostridien, unter denen man sehr viele Fäulnisbildner findet und deren vermehrte Anwesenheit man auf der Toilette unverkennbar riecht.
Bacteroidetes hingegen sind Bakterien, die überschüssigen Zucker verkapsulieren, wenn der Körper bereits genügend Energie hat. Dieser Zucker wird dann mit dem Stuhl aus dem Körper transportiert. Durch den Vergleich des sogenannten Restenergiewertes des Stuhls von Normal- und Übergewichtigen lässt sich das klar belegen: Bei schlanken Menschen liegt der Kaloriengehalt des Stuhls deutlich höher – es wird also mehr unnötiger Zucker ausgeschieden. Jene „Figurschmeichler-Bakterien“ sind jedoch anaerob, das heisst, sie sind in einer Umgebung mit Sauerstoff nicht lebensfähig. Allerdings ist es möglich, diese Bakterien mit speziellen Ballaststoffen (z. B. Apfelpektin) zur Vermehrung im Darm anzuregen.
Wer kann – bzw. sollte – fasten?
Das Fasten per se ist letztlich für fast alle Menschen möglich, nicht geeignet ist es für Kinder, Jugendliche, Schwangere, stillende Frauen, Personen mit Essstörungen oder Beschwerden durch Gallensteine oder Gicht. Generell empfiehlt es sich, insbesondere vor dem Heilfasten über mehrere Tage das Vorhaben mit einem Diätologen oder dem Arzt zu besprechen. Eine regelmässige „Auszeit“ vom Nahrungsüberfluss kann bei zahlreichen Menschen Positives bewirken, vor allem, wenn man bedenkt, dass immer mehr Personen mit chronischen Beschwerden zu kämpfen haben, die durch einen ungünstigen Lebensstil (mit-)bedingt sind. Daher bekommen Ernährungstherapien wie das Fasten auch in der Medizin wieder einen höheren Stellenwert. Fasten – in unterschiedlichsten Ausprägungen – kann also für viele Menschen der Wegbereiter von mehr Gesundheit und Wohlbefinden sein und den Grundstein für einen gesünderen Lebenswandel legen.