Mag. Dr. Susanne Scherübel-Posch
Eine gesunde Darmflora für ein starkes Immunsystem
Unser Körper weist zahlreiche effiziente und faszinierende Strategien zur Abwehr von Krankheitserregern auf. Vor allem gegen Bakterien, aber auch Viren steht ein erstaunliches Repertoire zur Verfügung, wobei dem Darm und den darin vorkommenden Bakterien Schlüsselrollen zukommen. Im Darm leben etwa 100 Billionen Bakterien, die 600 verschiedenen Bakterienarten zuzuordnen sind. Die Gesamtheit aller im Darm lebenden Mikroorganismen – das Darmmikrobiom – steuert die Immunantwort und setzt effiziente Wunderwaffen gegen Pathogene ein. Im Nachfolgenden sollen diese Mechanismen vorgestellt werden. Doch eines gleich vorweg: Man kann seinem Körper im Kampf gegen Viren und Bakterien gezielt helfen, indem man die Mikroorganismen im Darm durch einen gesunden Lebensstil unterstützt.
Zusätzlich kann die Zufuhr probiotischer Bakterien (pro bios = für das Leben) sinnvoll sein. Diese Helferchen unterstützen unsere im Darm vorkommenden, gesundheitsfördernden Bakterien. Mittels ihrer Stoffwechselprodukte ernähren die Bakterien unserer Darmzellen, und sorgen dafür, dass die Verbindungen zwischen den Zellen, die sogenannten tight junctions, intakt bleiben. Damit wird verhindert, dass schädliche Stoffe, wie bspw. pathogene Keime oder Toxine, in tiefer gelegene Gewebsschichten gelangen und dort Entzündungen auslösen. Eine intakte Darmbarriere verhindert auch den Übertritt von Pathogenen und Toxinen aus dem Darm in die Blutbahn, und somit das Vordringen in andere Organe. Die Stärkung der Darmbarriere ist daher von eminenter Bedeutung, um chronischen Entzündungen vorzubeugen und das Immunsystem nicht zu überlasten. Dabei helfen auch ausreichend Bewegung und eine ballaststoffreiche Ernährung, welche den im Darm lebenden symbiotischen Mikroorgansimen als Nahrungsquelle dient. (Symbiose = das Zusammenleben von Lebewesen verschiedener Art zu gegenseitigem Nutzen). Von besonderer Bedeutung sind die von Bakterien produzierten Stoffwechselprodukte – die sogenannten short chain fatty acids (SCFA, kurzkettige Fettsäuren) – welche die tight junctions und somit die Darmbarriere stärken. Die intakte Darmbarriere, die auch mit ausreichender Schleimproduktion (Mukus = Schleim) verbunden ist, stellt daher den Grundstein für eine funktionierende Infektabwehr dar.
Probiotische Bakterien regen unsere Darmzellen zur Produktion von Mukus (Schleim) an, der die gesamte Darmoberfläche von rund 400 Quadratmetern überzieht. Im Mukus, einer unlöslichen, zähflüssigen Substanz, befinden sich Stoffe, die Viren und Bakterien neutralisieren und es den Erregern erschweren, an die Oberflächen der Körperzellen zu gelangen und Infektionen oder Entzündungen auszulösen. „Infektion“ der Körperzellen bedeutet, dass Viren sich in die Zelle einschleusen. Das geschieht zumeist über das Andocken der Viren an die Zelloberfläche (über Proteinstrukturen, die sogenannten Rezeptoren). Dockt ein Virus an einen geeigneten Rezeptor an, bewirkt das die Virusaufnahme in die Zelle. Danach zwingt der Virus die befallene Zelle, seine Erbsubstanz zu produzieren, bis die Zelle schliesslich zugrunde geht und eine Menge Viren frei werden, die dann die nächsten Körperzellen infizieren können.
Wenn Bakterien Viren bekämpfen
Ein sehr effizienter und verbreiteter Mechanismus in der Virenbekämpfung ist der sogenannte Trapping-Mechanismus. Dabei „fangen“ probiotische Bakterien die Viren förmlich ein: Diese werden über Zuckerketten der Bakterien an die Bakterienoberfläche gebunden und können somit keine Körperzellen mehr infizieren. Das Belegen und Blockieren der Zellrezeptoren durch probiotische Bakterien kann als weitere antimikrobielle Eigenschaft angesehen werden. Dadurch wird verhindert, dass Viren andocken und die Körperzelle infizieren. Ebenso können Bakterien Substanzen freisetzen, die Viren und pathogene Bakterien neutralisieren. Man nennt diese Stoffe Bakteriozine oder antimikrobielle/antivirale Peptide (=AMP). Diese Bakteriozine sind Peptide oder Proteine (d.h. Eiweisse), welche die Oberflächenstrukturen von Mikroorganismen angreifen und dadurch deren Zerstörung bewirken. Zusätzlich können diese AMP die Immunantwort positiv modulieren, indem sie entzündungsfördernde Prozesse in der Immunzelle blockieren.
Probiotika für das Darm-Immunsystem
Es gibt noch einen ausgeklügelten Abwehrvorgang, der durch probiotische Bakterien unterstützt wird. An das Epithelium (das ist jene Zellschicht, welche die Oberfläche unseres Darmes darstellt) schliesst sich eine Bindegewebsschicht an. Diese sogenannte Lamina propria beherbergt das Mukosa-assoziierte Immunsystem (engl. mucossa associated lymphoid tissue = MALT), indem Immunantworten gegen pathogene Keime balanciert werden. Die Immunantwort darf weder überschiessend noch zu schwach ausfallen. Und hier können probiotische Bakterien bedeutsame Unterstützer des Immunsystems sein. Diese stimulieren nämlich Prozesse im Immunsystem, indem sie die Freisetzung von anti-entzündlichen Botenstoffen fördern.
Wie erfahren aber die Zellen des MALT von unerwünschten Eindringlingen im Darmlumen (das ist der Innenraum des Darmes, in dem Nahrung, Flüssigkeit aber auch Mikroorganismen transportiert werden bzw. vorhanden sind)? Dazu gibt es einen raffinierten Mechanismus. Eine spezielle Gruppe von Immunzellen, die dendritischen Zellen, sitzen in der Bindegewebsschicht und strecken ihre Ausläufer zwischen den Epithelzellen hindurch in das Darmlumen. Dort fischen die dendritischen Zellen Pathogene heraus, nehmen diese auf, und präsentieren Bruchstücke des eindringenden Feindes an weitere Immunzellen des MALT. Dadurch werden Prozesse in Gang gesetzt, die letzten Endes zur Produktion von spezifischen Antikörpern führen. Ausserdem werden die feindlichen Mikroorganismen aufgefressen und neutralisiert. Dieser Vorgang heisst Phagocytose. Dabei umfliessen spezielle Zellen des Immunsystems (in erster Linie dendritische Zellen, Makrophagen und Granulocyten) den pathogenen Mikroorganismus und nehmen diesen in sich auf. Danach wird im Zellinneren das zuvor aufgenommene Pathogen durch spezielle Eiweisse (=Enzyme) zerstört. Wie aber erkennen die Immunzellen „fremde“ und „schlechte“ Bakterien oder Viren? Das geschieht dadurch, dass die unerwünschten Keime an ihrer Oberfläche Strukturen tragen (Zuckerketten oder Eiweisse), die als fremd erkannt werden. Dadurch werden die Immunzellen wie zum Beispiel die Fresszellen (Phagocyten) aktiviert. Derselbe Mechanismus greift nun auch bei probiotischen Bakterien, die jedoch nicht die Freisetzung der entzündungsfördernden Botenstoffe in Gang setzen, sondern die Ausschüttung entzündungshemmender Botenstoffe, wodurch Entzündungsvorgänge verringert werden.
Hochwertige Multispezies-Probiotika setzen sich aus Bakterienstämmen zusammen, die natürlicherweise im Darm vorkommen. Die oral zugeführten probiotischen Stämme entfalten spezielle Mechanismen wie die Stärkung der Darmbarriere, aber auch die Produktion von AMPs, um Viren und Bakterien zu bekämpfen. Bakterienstämme in Multispezies-Probiotika unterstützen unseren Körper, indem sie entzündungsfördernde Vorgänge hemmen. Ausserdem konkurrieren die „guten“ Bakterien mit den „schlechten“ um Nahrung und verdrängen dadurch pathogene Mikroorganismen. In probiotischen Präparaten sind zumeist Bakterien der Gattungen Lactobacillus, Bifidobacterium oder Enterococcus enthalten. Vor allem Lactobazillen zeichnen sich durch gezielte antivirale Aktivität aus, wie beispielsweise der Stamm Lactobacillus reuteri DSM 12246, der den oben beschriebenen Trapping-Mechanismus ausüben kann. Lactobacillus delbrueckii ssp. bulgaricus LB2 (LMG P-21905) ist in der Lage, Bakteriozine zu produzieren, die Studien zufolge erfolgreich das Influenza-Virus bekämpfen können.
Vor allem in sehr belastenden Situationen, wie etwa derzeit in der weltumspannenden Covid-19 Pandemie, ist es durchaus sinnvoll, das körpereigene Immunsystem mittels qualitativen Probiotika zu unterstützen. Denn ist der Darm beziehungsweise das Darmmikrobiom im funktionellen und gesunden Zustand, ist auch die körpereigene Infektabwehr effizienter. Zusätzlich funktioniert die Verdauung bei gesunder Darmflora optimaler, und Nährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe können besser aufgenommen werden. Das Rundum-Wohlbefinden steigt dadurch und man kann Belastungen gestärkt entgegentreten.