Thore Hansen
Die Scheidenflora im Lauf des Lebens
Nahezu jede Frau leidet mindestens einmal im Leben an einer Infektion der Scheide. Nicht selten wird diese – begleitet von entsprechenden Symptomen – zu einem wiederkehrenden oder sogar chronischen Leiden. Das bedeutet eine eingeschränkte Lebensqualität, mitunter den Verlust der Libido oder gar Unfruchtbarkeit. Eine optimale Zusammensetzung der Scheidenflora ist daher für die Lebensqualität und die Gesundheit der Frau eine entscheidende Voraussetzung. Doch das so wichtige vaginale Mikrobiom unterliegt immer zahlreichen Einflüssen und verändert sich im Prinzip von der Geburt an bis ins hohe Alter.
Das gesunde Vaginalmikrobiom besteht zum Großteil aus Bakterien der Gattung Lactobacillus und fungiert als wichtiger Schutzschild gegen Infektionen im Intimbereich, zum Beispiel gegen bakterielle Vaginose (bakterielle Scheideninfektion), Scheidenpilz oder Harnwegsinfekte. Dabei machen die Laktobazillen den krankheitserregenden Keimen die Ansiedelung schwer: Die Bakterien der Scheidenflora verstoffwechseln Glykogen, eine Speicherform von Kohlenhydraten, zu Milchsäure – daher werden sie auch als Milchsäurebakterien bezeichnet. Dieser Vorgang ist für die Aufrechterhaltung eines sauren pH-Werts von 3,8 bis 4,4 in der Scheide relevant und schafft eine Umgebung, die das Wachstum von pathogenen Keimen verhindert.
Der Aufbau der Scheidenflora erfolgt bereits ab der Geburt – und zwar mithilfe von Darmbakterien
Dass gerade der weibliche Intimbereich so häufig von Pilzen und schädlichen Bakterien befallen wird, hängt auch mit der weiblichen Anatomie zusammen: Denn das weibliche Geschlechtsorgan ist das einzige Organ des Menschen, das eine direkte Verbindung von außen nach innen hat. Während unser Darm durch den Schließmuskel geschützt ist, das Ohr und die Lunge eine Sackgasse sind, ist die Scheide hingegen offen bis tief in den Körper hinein. „Das bedarf besonderer Schutzfunktionen. Die Scheidenhaut wird durch drei verschiedene Schichten geschützt: mittels der Verteidigung durch Milchsäurebakterien an der Oberfläche, des Gewebes selbst und des Immunsystems hinter der Oberfläche. Das Mikrobiom und das Immunsystem arbeiten dabei eng zusammen“, erklärt die Leipziger Gynäkologin Dr. med. Tarané Probst. Was in Bezug auf den Darm schon bekannt und erwiesen ist, gilt also auch für die Scheide.
Schutzschild ab dem ersten Lebenstag
Der Aufbau der Scheidenflora erfolgt bereits ab der Geburt – und zwar mithilfe von Darmbakterien (siehe Abbildung). Denn: Betrachtet man das weibliche Becken im Querschnitt, so erkennt man, dass Analbereich bzw. Rektum, Vaginalbereich und Harnwege keine „dichten“, abgeschlossenen Systeme sind, sondern in Öffnungen münden. Zwischen dem Anal- und dem Vaginalbereich existiert eine „Schleimstraße“: Über diesen physiologischen Transportweg werden Laktobazillen permanent aus dem Rektum, welches als Reservoir für nützliche Milchsäurebakterien dient, nach vorne in die Scheide befördert. Anhand jener engen Verbindung zwischen Darm- und Scheidenflora lässt sich erklären, warum Faktoren, welche die Darmflora stören, auch die Vaginalflora negativ beeinflussen – und warum eine gesunde Scheidenflora durch die orale Einnahme von Probiotika, z. B. durch Trinken, besonders nachhaltig unterstützt wird.
Kaiserschnitt – ungünstiger Start für das Mikrobiom?
Wie sich die kindliche Darmflora und in der Folge die Vaginalflora sowie das Immunsystem entwickeln, ist unter anderem von der Geburt abhängig. Wenn Kinder nicht auf natürlichem Weg geboren werden und nicht den Geburtskanal passieren, werden sie nicht bzw. nicht ausreichend mit dem Mikrobiom der Scheide konfrontiert. Natürlich kann ein Kaiserschnitt notwendig sein, um die Gesundheit der Mutter zu schützen und dem Kind einen sicheren Start ins Leben zu ermöglichen – es steht außer Frage, dass dieser Geburtsweg viele Leben rettet. Jedoch gibt es auch einen starken Trend hin zu Wunsch-Kaiserschnitten, bei denen eine natürliche Geburt von vornherein nicht in Betracht gezogen wird: In Deutschland kommen ca. 30 % der Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt.
„Abgesehen von der physiologischen Belastung für die Mutter durch eine Wunde, durch Stress bei der Operation und die Narkose, findet bei einem Kaiserschnitt kaum eine Übertragung der so wichtigen Bakterien statt. Das kann man auch nachweisen, indem man zum Beispiel bei Kindern, die via Kaiserschnitt geboren werden, mehr Hautkeime im Darm findet. Der Mangel an bestimmten Keimen, die unser Immunsystem auch gegenüber bestimmten Bakterien tolerant machen sollen, bewirkt dann eine Überreaktion des Immunsystems, was zu Hauterkrankungen wie Neurodermitis und Allergien führt. Sollte die Mutter – wie bei einer Kaiserschnittgeburt
üblich – noch Antibiotika bekommen, wird auch über die Muttermilch ein verändertes
Mikrobiom weitergegeben“, erläutert Probst.
Hormonelle Entwicklung verändert Vaginalschleimhaut
Mit dem Eintritt in die Pubertät und damit ins fruchtbare Alter baut die Scheidenschleimhaut mehrere Zellschichten auf und wird dadurch dicker und kräftiger. Die Natur denkt mit: Da Frauen in der ersten Lebenshälfte mehr Geschlechtsverkehr haben und in dieser Phase einen stärkeren Schutz brauchen als vor der Geschlechtsreife, verstärken sich die Schleimhäute. Und auch die Milchsäurebakterien werden zu vermehrter Aktivität angeregt, um den Schutzschild zu verstärken: „Über den Einfluss des Östrogens wird in der Pubertät mehr Glykogen eingelagert, was wiederum für die Produktion von Milchsäure von Vorteil ist. Wenn eine Frau aber – wie zum Beispiel in der Menopause – einen verringerten Östrogenspiegel hat, lagert sie weniger Glykogen ein. Dies hat zur Folge, dass in der Scheide weniger gute Bakterien verweilen. Man merkt das etwa bei Patientinnen, die einen gynäkologischen Tumor haben und eine Antihormontherapie bekommen. Auf Grund der niedrigen Hormonspiegel verändern sich Haut und Schleimhäute im Körper. Sie werden dünner, das gilt ebenso für die Vaginalschleimhaut. Und auch die Symbiose durch die Mikroorganismen wird reduziert“, gibt Probst zu bedenken. Die unterschiedliche Zusammensetzung der Vaginalflora in verschiedenen Lebensphasen lässt sich also insbesondere auf das Einwirken der Hormone zurückführen.
Dauerthema Scheideninfekt
Doch Infektionen der Scheide durch Pilze oder Keime treten nicht nur in Zusammenhang mit schweren Erkrankungen auf – vielmehr kann nahezu jede Frau ein Lied davon singen: Im Lauf des Lebens sind 70-75 % der Frauen zumindest einmal von einer Pilzinfektion betroffen und eine bakterielle Vaginose ist bei 5 % der Frauen (die zur Vorsorgeuntersuchung gehen) feststellbar – in der Schwangerschaft steigt die Häufigkeit auf 7-22 % drastisch an.
Die Ursachen sind vielfältig: Stress, Abwehrschwäche, übermäßige Scheidenspülungen und Seifenanwendung, Geschlechtsverkehr (v. a. mit wechselnden Partnern), hormonelle Veränderung oder Diabetes mellitus. Sie alle führen zu einem Ungleichgewicht der Scheidenflora, bei dem die Anzahl von Milchsäurebakterien reduziert wird. Einer der häufigsten Gründe dürfte jedoch die Antibiotikagabe sein, die eine bakterielle Vaginose, ausgelöst durch Gardnerella vaginalis (siehe Abbildung auf S. 13), Prevotella oder Mykoplasmen, nach sich zieht. Hier beginnt der Teufelskreis, denn bakterielle Vaginosen werden häufig mit Antibiotika behandelt und neben den Keimen werden die nützlichen Milchsäurebakterien stark reduziert. Das macht es den Krankheitserregern leicht, sich erneut anzusiedeln, weil der Schutzschild im Intimbereich massiv beschädigt ist. Somit ist es nicht verwunderlich, dass zahlreiche Frauen mit wiederkehrenden Beschwerden im Intimbereich zu kämpfen haben: 60 % der Frauen, bei denen eine bakterielle Vaginose diagnostiziert wird, leiden spätestens nach sechs Monaten erneut an den Symptomen.
Harnwegsinfekte („Blasenentzündungen”) treten bei 25 % der Frauen abermals auf, vielfach entwickeln sich daraus chronische Beschwerden. Krankmachende Keime sind äußerst kreativ, wenn es um ihr eigenes Überleben geht: Häufig ist die Vaginalschleimhaut nämlich von einem sogenannten Biofilm (siehe Abbildung auf S. 10) überzogen. In dieser dünnen Schleimschicht, die von den pathogenen Keimen selbst gebildet wird, sind jene Krankheitserreger in höherer Konzentration vorhanden und gleichzeitig gut vor dem körpereigenen Immunsystem sowie vor Antibiotika geschützt. Solch ein Biofilm begünstigt folglich das erneute Auftreten von vaginalen Infekten. Für wiederkehrende Blasenentzündungen sind zwei Bakterienarten verantwortlich, nämlich Escherichia coli und Gardnerella vaginalis.
Krankmachende Keime sind äußerst kreativ, wenn es um ihr eigenes Überleben geht: Häufig ist die Vaginalschleimhaut nämlich von einem sogenannten Biofilm überzogen.
Erstere gelangen, ausgehend vom Darm, über die Scheide in den Harntrakt und nisten sich in der Blasenwand ein. Dort sind sie so gut versteckt, dass weder Antibiotika sie angreifen noch die körpereigenen Abwehrkräfte sie entdecken können. Kommt der Keim Gardnerella vaginalis hinzu, werden die E.-coli-Bakterien wieder aktiviert und lösen Entzündungen im Harntrakt aus.
Probiotischer Ausbruch aus dem „Infektkreislauf“
Doch wie kann frau den Infektkreislauf durchbrechen? Dass Probiotika auch für die Vaginalgesundheit eine wichtige Rolle spielen, ist mittlerweile be- und anerkannt. Eine wissenschaftliche Studie untersuchte nun den Einfluss eines Multispezies-Probiotikums auf die Vaginalflora, während eine bakterielle Vaginose der Patientinnen mit einem Antibiotikum behandelt wurde. Nach vier Wochen zeigte sich ein Ergebnis, das vielen Leidgeplagten Hoffnung gibt: In jener Gruppe von Frauen, die ein Placebo erhalten hatten, wiesen 38 % – trotz Antibiotikabehandlung – weiterhin Symptome einer bakteriellen Vaginose auf. In der Probiotika-Gruppe hingegen hatte nicht eine einzige Frau mit einem wieder auftretenden Infekt zu kämpfen. Ein Ausbruch aus dem Teufelskreis – für mehr Lebensqualität!
Kinderwunsch und Scheidenflora – ein Zusammenhang?
Auch für die Entstehung von neuem Leben spielt die bakterielle Besiedelung eine wesentliche Rolle: Lange ging man davon aus, dass es im weiblichen Genitaltrakt „nur“ in der Scheide eine Besiedelung mit probiotischen Bakterien gäbe. Dann entdeckte man jedoch, dass die Gebärmutter ebenfalls ein Mikrobiom beherbergt. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass dieses Mikrobiom durchaus eine Rolle dabei spielen kann, ob sich die Eizelle in die Gebärmutter einnistet oder nicht. Überdies trägt die Anzahl der nützlichen Bakterien erheblich dazu bei, schwanger zu bleiben bzw. eine Fehlgeburt zu vermeiden. Die Scheide sollte zum Zeitpunkt der Schwangerschaft überwiegend von guten (Milchsäure-) Bakterien besiedelt sein, um krankmachende (pathogene) Keime abwehren zu können.
Damit es aber überhaupt zu einer Schwangerschaft kommt, müssen immer mehr Paare Hilfe in Form von künstlichen Befruchtungen in Anspruch nehmen, und die Tendenz ist nach wie vor steigend. Daher wurde untersucht, welchen Einfluss die Zusammensetzung des Mikrobioms in der Gebärmutter auf den Implantationserfolg bei künstlichen Befruchtungen hat. Es zeigte sich, dass ein nicht von Laktobazillen dominiertes Mikrobiom der Gebärmutter mit negativen Auswirkungen auf die Fortpflanzungsfunktion korreliert und dies somit als eine mögliche Ursache für Implantationsversagen und Schwangerschaftsverlust in Betracht gezogen werden sollte. So der Schluss dieser Studie.
Eine weitere Arbeit beschäftigte sich mit einem bestimmten Vaginalkeim namens Ureaplasma parvum: Ist das Vaginalmikrobiom mit diesem Keim überwuchert, wird das unter anderem mit Unfruchtbarkeit und mit Krankheiten rund um den Zeitpunkt der Geburt assoziiert. Im Zuge dieser Studie wurde die Scheidenflora von 80 unfruchtbaren Frauen vor und nach vierwöchiger Anwendung eines Multispezies-Probiotikums untersucht: Bei jenen Frauen, die das Probiotikum erhalten hatten, war der Keim kaum nachweisbar, ganz im Gegensatz zur Placebogruppe, in der die Besiedelung mit Ureaplasma parvum deutlich zugenommen hatte. Krankmachende Keime werden also durch ein geeignetes Probiotikum unterdrückt bzw. wird die Zusammensetzung der Vaginalflora dadurch deutlich verbessert – eine einfache Möglichkeit, Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch zu unterstützen.
Menopause beeinflusst das gesamte weibliche Mikrobiom
Eine der stärksten Veränderungen für Frauen bringt die Menopause mit sich. In dieser Phase können durch die verminderte Produktion von Östrogenen, Androgenen und Gelbkörperhormonen spürbare seelische und körperliche Symptome wie Hitzewallungen, Schlafstörungen oder Libidoverlust auftreten. Doch auch an der Darmflora gehen die Wechseljahre nicht spurlos vorüber. Die Zusammensetzung der Darmbakterien hängt stark von Umwelteinflüssen, Ernährung, Stress, der Einnahme von Antibiotika und Hormonen ab. So weist die Darmflora speziell in Lebensabschnitten mit der größten Dynamik (Kindheit, Pubertät, Alterungsprozess) die höchste Instabilität auf. „Im höheren Alter verändert sich vor allem die Konzentration des Mikrobioms. Die Menge der Bakterien verringert sich einfach“, weiß Dr. Probst. Neben Östrogen nimmt auch die Menge an Progesteron, jenem Hormon, das u. a. Menstruationszyklus und Schwangerschaft reguliert, in der Menopause ab. Der verminderte Progesteronspiegel wirkt sich auch auf die Funktion der Darmbarriere aus und kann diese beeinträchtigen.
Die Scheidenflora beeinflusst die Lebensqualität jeder Frau also von Geburt an bis ins hohe Alter – ein wichtiger Grund, gut auf sie zu achten!
Zudem konnten Studien zeigen, dass es nach den Wechseljahren zu einem schlechteren Firmicutes-Bacteroidetes-Verhältnis kommt. Diese Beobachtungen decken sich mit dem zunehmenden Body-Mass-Index vieler Frauen in diesem Lebensabschnitt, denn Firmicutes-Bakterien gelten als die „Dickmacher“ im Darm. Eine weitere Veränderung des Darmmikrobioms, die sich im Laufe der Wechseljahre zeigt, ist die verminderte Produktion kurzkettiger Fettsäuren, die an der Regulation des Appetits und Energiestoffwechsels beteiligt sind. Doch nicht nur unsere Darmbakterien, sondern auch die bakterielle Zusammensetzung in der Vaginalflora verändert sich im Laufe des Lebens.
Prämenopausal ist die gesunde Vaginalflora hauptsächlich von Laktobazillen besiedelt. Nach Einsetzen der Menopause und dem Absinken des Östrogenlevels sinkt die Menge an Glykogen, was sich wiederum negativ auf das Wachstum von Laktobazillen und die Produktion von Milchsäure auswirkt. Infolgedessen steigt auch der pH-Wert in der Scheide leicht an. Eine verminderte Anzahl der schützenden Milchsäurebakterien erleichtert es krankmachenden Keimen, sich in der Scheidenflora auszubreiten: Symptome im Urogenitalbereich können die Folge sein, z. B. Juckreiz, vermehrter Harndrang oder Scheidentrockenheit. Auch hier bietet es sich an, die Vaginalflora mittels Probiotika zu unterstützen und wichtige Laktobazillen zu ergänzen. Gynäkologin Probst rät ihren Patientinnen in der Menopause ebenfalls dazu. „Wenn die Scheide zum Beispiel sehr trocken ist, trifft das oft auch auf den Darm zu und dann nimmt im Allgemeinen der Immunschutz ab. Nehmen die Frauen aber Probiotika zu sich, verbessert sich die Lage häufig schon binnen einer Woche.“ Die Scheidenflora beeinflusst die Lebensqualität jeder Frau also von Geburt an bis ins hohe Alter – ein wichtiger Grund, gut auf sie zu achten!
Personenbeschreibung:
Dr. med. Tarané Probst studierte Humanmedizin sowie Bevölkerungsmedizin und Gesundheitswesen (Public Health) an der Medizinischen Hochschule Hannover und ist seit 2014 niedergelassene Fachärztin im Herzen von Leipzig.