Krankmachende Ernährung – kranker Darm?

Margit Koudelka

Mikrobiom und Metabolisches Syndrom

Enge Verbindung zwischen Darm und neuer Volkskrankheit

Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner

Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner*

Unsere Lebensweise – und somit auch unsere Ernährung – hat sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verändert, und zwar zum Schlechten: Die „westliche Diät“ mit einem Zuviel an Fleisch, Zucker und industriell verarbeiteten Lebensmitteln ist der Nährboden für zahlreiche Zivilisationskrankheiten, die sich nicht nur massiv auf unser Wohlbefinden auswirken, sondern auch das Gesundheitssystem enorm belasten. Eine dieser neuen Volkskrankheiten, das Metabolische Syndrom, steht, wie Studien belegen, in engem Zusammenhang mit dem Darm und unserem Mikrobiom.

Rund ein Viertel der Menschen sind, unabhängig von ihrem Alter oder Geschlecht, bereits vom Metabolischen Syndrom betroffen, Tendenz steigend. Zu den Gründen für die rasante Zunahme dieser Erkrankung gehört insbesondere das Gewicht: „Adipositas, also krankhaftes Übergewicht, ist eine weltweite Epidemie. Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa wächst die Zahl der adipösen Erwachsenen, die Zahl der fettleibigen Kinder steigt ebenfalls“, erläutert Assoz.-Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Vanessa Stadlbauer-Köllner, Fachärztin an der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Medizinischen Universität Graz. „Fettleibigkeit stellt ein beträchtliches klinisches Problem dar. Die Lebenserwartung der Betroffenen ist deutlich kürzer als jene von schlanken Menschen“, fügt die Expertin hinzu. Tatsächlich sind in Österreich 3,4 Millionen Menschen übergewichtig (ca. 32%) oder gar krankhaft übergewichtig (ca. 14%), in Deutschland kommen Übergewicht (ca. 37%) und Fettleibigkeit (ca. 21%) sogar noch häufiger vor und kosten das deutsche Gesundheitswesen rund 17 Milliarden Euro im Jahr.

Symptome Metabolisches Syndrom

Das Metabolische Syndrom kennzeichnen neben starkem Übergewicht mit bauchbetonter Fettverteilung auch Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen mit erhöhten Triglyzerid-Werten, erhöhten Gesamtcholesterinwerten bei gleichzeitig verringertem HDL-Cholesterin sowie Glukoseintoleranz bzw. Typ-2-Diabetes (Erläuterungen siehe Glossar). Eine Kombination aus zumindest drei dieser Faktoren erhöht beispielsweise das Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, um das Dreifache. Zudem geht das Metabolische Syndrom oftmals mit anderen Krankheiten einher, etwa mit chronischen Lebererkrankungen (z. B. Fettleber oder Fettleberhepatitis).

Krankmachende Ernährung – kranker Darm?

Die „westliche Diät“ (wobei „Diät“ hier nicht als „Abnehmkur“, sondern als „Ernährungsform“ zu verstehen ist) mit viel Fett, Zucker und industriell gefertigten Lebensmitteln hat unbestritten einen negativen Einfluss auf die Darmflora: „Die Diversität, also die Vielfalt der Darmbakterien, nimmt insgesamt ab, sodass es zu einer Zunahme von Bakterien aus der Familie der Firmicutes und zu einer Abnahme von jenen aus der Bacteroidetes-Familie kommt“, erläutert Stadlbauer-Köllner. Umgekehrt zeigen Studien auch: Eine Gewichtsabnahme durch Ernährungsumstellung und Bewegung führt dazu, dass sich die Beschaffenheit des Mikrobioms wieder verbessert.

Gleichzeitig kann die Zusammensetzung der Darmbakterien erklären, warum manche Menschen trotz großer Bemühungen und fachlicher Begleitung nur kaum oder gar nicht an Gewicht verlieren: Das Mikrobiom eines „guten Futterverwerters“ kann bis zu 30% mehr Kalorien aus derselben Nahrungsmenge extrahieren als die Darmbakterien normalgewichtiger Menschen, und das ist gerade in der heutigen Zeit des Überflusses ein „gewichtiges“ Problem.

Der westliche Lebensstil verändert jedoch nicht nur das Mikrobiom. Fett- und zuckerreiche Ernährung hat auch häufig eine erhöhte Durchlässigkeit (=Permeabilität) des Darms zur Folge. Bei Patienten mit Diabetes und Übergewicht zeigt sich dies ebenso wie bei Personen mit Fettlebererkrankungen. Diese gestörte Funktion unserer Darmbarriere hat zur Folge, dass vermehrt bakterielle Giftstoffe in den Körper eindringen. Durch diese sogenannte metabolische Endotoxinämie kommt es zwar nicht zu akuten Erkrankungen oder Fieber, sehr wohl aber zu latenten Entzündungen im Gewebe (z. B. im Fettgewebe oder in der Leber). Das kann Störungen im Zucker- und Fettstoffwechsel nach sich ziehen und eine Negativ-Spirale auslösen, die zu einer immer weiteren Gewichtszunahme führt. „Provokant könnte man sagen: Adipositas ist eine gastrointestinale Infektionskrankheit“, meint Stadlbauer-Köllner. Die Veränderungen im Darm treten schon im frühen Verlauf auf, wie die Expertin bestätigt: „Das haben wir bei einer Studie gemerkt, in welche wir nur Personen mit Metabolischem Syndrom eingeschlossen haben. Diese wiesen bereits ein verändertes Mikrobiom und eine erhöhte Darmpermeabilität auf.“

Mikrobiom und Metabolisches Syndrom im Wechselspiel

Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms ist also das Ergebnis einer wechselseitigen Interaktion zwischen dem Menschen und seinen Darmbewohnern. Sowohl die Beschaffenheit des Mikrobioms als auch die Permeabilität der Darmflora werden durch Ernährung, Krankheiten und Medikamente (bspw. Antibiotika) bestimmt. Ernährt sich der Mensch gesund und ausgewogen, siedeln sich überwiegend „gute“ Bakterien im Darm an. Umgekehrt fühlen sich in einem Darm, der viel zucker- und fettreiche Nahrung verarbeiten muss, die „dickmachenden“ Mikroorganismen besonders wohl. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Studien die Bedeutung der Darmflora auch für Körpergewicht und Stoffwechselvorgänge bestätigt. Stadlbauer-Köllner erklärt: „Gleichzeitig kann ein frühes Eingreifen in Form einer positiven Veränderung des Mikrobioms unterschiedliche Stoffwechselprozesse verbessern. Hier kommen Probiotika ins Spiel, denn Produkte mit speziell kombinierten lebenden Mikroorganismen können etwa bei einem Metabolischen Syndrom die Zusammensetzung der Darmflora positiv beeinflussen, die Durchlässigkeit des Darms und das Eindringen von Giftstoffen in den Organismus verringern, aber auch das Entzündungsgeschehen eindämmen.“

Pro- und Präbiotika als neue Therapieoption?

Eine erste Metaanalyse des Einsatzes von Probiotika bei Diabetes, die mehrere klinische Studien analysiert, ergab, dass sich Blutzucker und HOMA-Index (ein Maß für Insulinresistenz) bereits nach einer kurzen Zeit von ein bis zwei Monaten verbessern ließen. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich, dass eine längere Anwendung die Effekte noch verstärken kann. Neben dem verbesserten Zuckerstoffwechsel belegte die Analyse eine signifikante Zunahme des HDL-Cholesterins und eine beträchtliche Reduktion der Triglyceride durch die Anwendung von Probiotika, und auch die sogenannte Waist-to-Hip-Ratio, also das Verhältnis zwischen Taille und Hüfte, sowie das Körpergewicht wurden positiv beeinflusst.

Zusätzlich zu Probiotika, welche die Darmflora ergänzen, können auch Präbiotika, also spezielle Ballast- und Faserstoffe, das Mikrobiom beeinflussen, indem sie das Wachstum bestimmter Bakterien gezielt fördern. Momentan untersucht Prof. Stadlbauer-Köllner in einer Studie den Einfluss von bestimmten Pro- und Präbiotika auf Diabetiker. Konkret wird analysiert, ob sich das Mikrobiom und die Darmbarriere modulieren lassen und ob Fett- und Zuckerstoffwechsel sowie die Immunabwehr beeinflusst werden können.

Das Hormon Insulin ist von zentraler Bedeutung für den Stoffwechsel: Es regt die Körperzellen dazu an, Zuckermoleküle aus dem Blut aufzunehmen, welche sie zur Energiegewinnung benötigen.

„Ich beschäftige mich schon lange mit der erhöhten Infektanfälligkeit bei Vorliegen einer Leberzirrhose. Bei Personen mit Diabetes Typ 2 sehen wir ebenfalls Probleme mit dem angeborenen Immunsystem“, verweist die Expertin auf den Zusammenhang. Erste Ergebnisse der sechsmonatigen klinischen Untersuchung sind vielversprechend: „Wir konnten positive Effekte auf den Fettstoffwechsel nachweisen, und auch die Wirkung auf die Immunfunktion bei Diabetikern ist ähnlich wie bei Patienten mit Leberzirrhose.“ Zusätzlich wurden Verbesserungen im Zuckerstoffwechsel entdeckt, so etwa ließ sich der Langzeit-Blutzuckerwert (HbA1c-Wert) senken, darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die Probiotika-Gruppe weniger bakterielle Giftstoffe im Blut hatte, was einen Hinweis auf eine Verbesserung der Darmbarriere darstellt.

Gesundheitszentrale Darm

Diese Erkenntnisse belegen eindeutig, dass die Darmbakterien und die Darmbarriere beim Metabolischen Syndrom und bei den damit einhergehenden Krankheiten wie Adipositas und Diabetes eine zentrale Rolle spielen. „Die Modulation des Mikrobioms ist eine interessante therapeutische Strategie“, bestätigt die Expertin. Studiendaten belegen, dass sowohl Probiotika als auch Präbiotika Fett- und Zuckerstoffwechsel ebenso positiv beeinflussen wie die Körpermaße, die Darmbarriere, entzündliche Reaktionen und das Immunsystem.

Der wesentliche Faktor bei diesen Stoffwechselerkrankungen besteht immer noch darin, das Gewicht im Normalbereich zu halten, und zwar mit ausreichend Bewegung und einer ausgewogenen Ernährung, bei der Wert auf frische saisonale Produkte und die eigene Verarbeitung derselben gelegt wird. Auf dem Weg zurück zur Normalität kommt dem Darm eine große Bedeutung zu, wie Stadlbauer-Köllner weiß: „Die Therapie mit Probiotika hat einen wichtigen unterstützenden Stellenwert und kann Patienten gemeinsam mit einer Verbesserung des Lebensstils und einer medikamentösen Begleitung zu einem gesünderen Leben verhelfen.“

Bei einer erhöhten Durchlässigkeit des Darms können vermehrt SChadstoffe und bakterielle Toxine in den Organismus eindringen.

Bei einer erhöhten Durchlässigkeit des Darms können vermehrt SChadstoffe und bakterielle Toxine in den Organismus eindringen.

 

*Univ.-Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner, Fachärztin an der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie an der Medizinischen Universität Graz.


Glossar

Adipositas Krankhaftes Übergewicht ab einem Body-Mass-Index von 30.
Body-Mass-Index (BMI) International anerkannte Maßeinheit, die das Verhältnis von Körpergröße zu Körpergewicht angibt. Formel: BMI (kg/m²) = Körpergewicht (kg): Körpergröße² (m²). Ein BMI zwischen 18,5 und 24,9 gilt als Normalgewicht.
Cholesterin Cholesterin ist eine fettartige Substanz, die mit der Nahrung aufgenommen, aber auch im Körper (vor allem in der Leber) gebildet wird. High-Density-Lipoproteine transportieren Cholesterin zurück in die Leber, wo es abgebaut wird („gutes“ HDL-Cholesterin). „Low-Density-Lipoproteine“ können sich hingegen im Laufe der Zeit in den Arterien ablagern und diese verstopfen, wenn sie vom Körper nicht verwertet werden.
Glukoseintoleranz Durch einen Insulinmangel oder durch eine verminderte Insulinempfindlichkeit der Körperzellen nehmen diese weniger Glukose (Traubenzucker) aus dem Blut auf. Eine Glukoseintoleranz ist Anzeichen eines Diabetes mellitus.
HOMA-Index Kurz für Homeostasis Model Assessment. Gibt via Nüchternblutzucker und Nüchterninsulinspiegel Aufschluss über das Risiko einer Insulinresistenz.
Insulinresistenz Von Insulinresistenz spricht man, wenn das blutzuckersenkende Hormon Insulin weniger stark wirkt als erwartet.
Präbiotika Präbiotika sind nicht verdauliche Lebensmittelbestandteile, die ihren Wirt günstig beeinflussen, indem sie das Wachstum und/oder die Aktivität einer oder mehrerer Bakterienarten im Dickdarm gezielt anregen.
Probiotika Bei Probiotika handelt es sich um lebende nützliche Mikroorganismen (z. B. Laktobazillen und Bifidobakterien), die das Darmmilieu positiv beeinflussen, indem sie u. a. durch die Regulierung des pH-Werts für nützliche Keime eine angenehme Umgebung schaffen oder wichtige Vitamine und Fettsäuren produzieren. Probiotika mit einer hohen Keimzahl für unterschiedliche Einsatzgebiete sind in der Apotheke erhältlich.
Triglyceride Triglyceride (Neutralfette) sind wichtige Energiespeicher im Körper. Sie werden einerseits mit der Nahrung aufgenommen. Andererseits kann der Körper Triglyceride selbst herstellen (z. B. aus Kohlenhydraten) und im Fettgewebe als Energiereserve speichern.
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