Mag. Anita Frauwallner diskutiert mit Prof. Christoph Castellani, inwieweit Tumorerkrankungen das Mikrobiom verändern und welchen Einfluss Pro- und Präbiotika als begleitende Therapie haben können.

Heidrun Valencak

Krebs, Chemotherapie und Mikrobiom

Krebserkrankungen sind ein zentrales Gesundheitsthema unserer Gesellschaft: Neuerkrankungen und Sterblichkeitsrisiko gehen zwar tendenziell zurück, aber Krebs zählt immer noch zu den häufigsten Todesursachen und wird aufgrund der zunehmenden Überalterung unserer Gesellschaft bis zum Jahr 2030 voraussichtlich 4,9% der Österreicher betreffen. Mag. Anita Frauwallner diskutiert mit Prof. Christoph Castellani, inwieweit Tumorerkrankungen das Mikrobiom verändern und welchen Einfluss Pro- und Präbiotika als begleitende Therapie haben können. 

Ass.-Prof. PD Dr. med. univ. Christoph Castellani

Ass.-Prof. PD Dr. med. univ. Christoph Castellani*

Mag. Anita Frauwallner: Krebserkrankungen betreffen immer mehr Menschen, sodass nahezu jede Person damit in Berührung kommt. Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit Stoffwechselstörungen, die bei Krebspatienten – bei Kindern wie bei Erwachsenen – auftreten, und untersuchen auch den Zusammenhang mit den Darmbakterien. Welche Funktionen des Mikrobioms sind insbesondere für Krebspatienten relevant?

Prof. Christoph Castellani: Unser Mikrobiom kann die Gesundheit auf vielfältige Art beeinflussen, beispielsweise werden von den Darmbakterien nicht verdauliche Kohlenhydrate zu kurzkettigen Fettsäuren (Anm.: Short Chain Fatty Acids, SCFAs) verstoffwechselt. Diese SCFAs vermindern Entzündungen im Körper, verbessern die Darmbarriere und sind eine wichtige Energiequelle für die Epithelzellen, die innerste Schicht unseres Darms.

Beim Zerfallen von Bakterien können aber auch Toxine freigesetzt werden, welche starke Entzündungen auslösen. Dadurch kann die Darmwand geschädigt werden. Diese ist jedoch eine der wichtigsten Barrieren unseres Körpers, denn sie verhindert, dass Schadstoffe aus dem Darminhalt aufgenommen werden. Gleichzeitig kann die Darmwand Wasser und Nährstoffe sehr wohl durchlassen und dem Organismus zur Verfügung stellen. Damit diese selektive Barriere funktioniert, ist es wichtig, dass die Epithelzellen ganz eng verbunden sind: Sie sind mittels der sogenannten Tight Junctions sozusagen miteinander verklebt, und in einem gesunden Darm können sich diese Klebstellen gezielt öffnen und schließen, um eben Nährstoffe durchzulassen und Pathogene „auszusperren“.

Wenn es allerdings im Darm zu einer Dysbiose kommt, also zu einer veränderten Zusammensetzung der Darmflora, die sich nachteilig auf uns auswirkt, dann fehlen die wichtigen kurzkettigen Fettsäuren. Die Zellen der Darmwand sind unterversorgt und die Darmbarriere wird geschädigt. Auf diese Weise können dann bakterielle Toxine und Giftstoffe aus der Nahrung durch die Darmwand in den Körper gelangen, was Immunzellen aktiviert und Entzündungsreaktionen hervorruft. So entsteht ein Teufelskreis: Durch die Entzündung wird die Darmwand undicht, durch die undichte Darmwand verstärkt sich die Entzündung, und durch die verstärkte Entzündung wird die Darmwand noch „löchriger“.

Mag. Anita Frauwallner: Man weiß ja bereits von Patienten mit unterschiedlichen entzündlichen Erkrankungen wie Demenz, Multipler Sklerose oder Lebererkrankungen, dass das Mikrobiom verändert ist. Kann man das auch bei Krebspatienten beobachten? Oder ist eine veränderte Darmflora gar ursächlich an der Entstehung von Krebs beteiligt?

Prof. Christoph Castellani: Es kann durchaus sein, dass eine Dysbiose für die Auslösung einer Tumorentwicklung mitverantwortlich ist: Die Zusammensetzung des Mikrobioms verändert sich, die pathogenen Keime produzieren Giftstoffe, und diese lösen Darmkrebs aus. Diese schädliche Veränderung der Darmbakterien entsteht durch Medikamenteneinnahme und insbesondere durch eine falsche Ernährungsweise: Unsere westliche Ernährung mit reichlich Fleisch, Fast Food, Soft Drinks und Zucker ist für das Mikrobiom besonders schlecht, darüber hinaus nehmen wir mit der Nahrung auch krebsauslösende Stoffe (Anm.: z. B. Alkohol; Schwermetalle; Cadmium aus Zigarettenrauch) zu uns. Wie schädlich unsere Ernährungsweise ist, zeigen Studien, die den Einfluss von Lebensmitteln auf die Entwicklung von Darmkrebs untersucht haben: Als besonders risikobehaftet wird der Konsum von rotem Fleisch, Wurst- und Schinkenwaren sowie Alkohol angesehen – und auch Übergewicht, von dem 55% der Europäer betroffen sind, stellt einen zentralen Faktor dar. Tierische Fette, Käse und Zucker scheinen die Entwicklung von Colonkarzinomen ebenfalls zu begünstigen.

Was man außerdem weiß, ist, dass Patienten mit Darmkrebs einen deutlichen Abfall von Laktobazillen, also Milchsäurebakterien, und Faecalibacterien, die übrigens wichtige Produzenten von SCFAs sind, zeigen. Ein enger Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom und Tumoren ist also eindeutig gegeben.

Mag. Anita Frauwallner: Eines Ihrer Forschungsgebiete ist die sogenannte Kachexie bei Tumorerkrankungen. Was versteht man darunter? Gibt es auch einen Zusammenhang mit dem Mikrobiom, den man mit Studienergebnissen untermauern kann?

Prof. Christoph Castellani: Eine Kachexie ist eine Mangelerkrankung, bei der es zum Schwund von Fett- und Muskelgewebe kommt. Sie tritt besonders häufig bei Krebserkrankungen auf: Zirka 50% der Erwachsenen mit einem bösartigen Tumor haben – teilweise auch nur vorübergehend – mit einer solchen Abmagerung zu kämpfen. Bei 20-50% der Tumorpatienten stellt die Kachexie sogar die Todesursache dar. Das Problem besteht darin, dass die Patienten nicht nur durch unterschiedliche Stoffwechselerkrankungen Fett und Muskeln abbauen, sondern gleichzeitig auch unter einer Inappetenz leiden: Sie haben keinen Hunger mehr. Der Verlust des Hungergefühls lässt sich zwar zum Teil auf die Nebenwirkungen der Chemotherapie zurückführen, ein wichtiger Grund dafür ist aber auch die Kachexie selbst, die über Entzündungsreaktionen und Modulationen im Gehirn zu dieser Reduktion des Hungergefühl führt. Bei Kindern verhält es sich ähnlich, hier weisen 46% der kleinen Patienten mit Malignomen eine tumorassoziierte Unterernährung auf.

Durch die Kachexie sind die Patienten nicht nur vermehrt geschwächt – zusätzlich steigt die Infektanfälligkeit und die Wundheilung verzögert sich, was insbesondere nach chirurgischen Eingriffen weitere Risiken mit sich bringt. Die Wirksamkeit der Chemotherapie verschlechtert sich, und das hat auch negative Folgen für die Prognose der Patienten.

Wir sollten in der Tumortherapie das Ziel anstreben, das Mikrobiom der Patienten intakt zu halten, um eine effektivere Chemotherapie durchführen zu können.

Wir haben selbst zwei experimentelle Studien durchgeführt: In beiden Modellen wurden die krebskranken Mäuse kachektisch, verloren also Fett- und Muskelmasse, und im Stuhl konnte man klar sehen, dass mehrere Laktobazillus-Arten signifikant reduziert waren. Offensichtlich kommt es bei der Kachexie also zu einer Veränderung des Mikrobioms und insbesondere zu einer Abnahme der Milchsäurebakterien.

Mag. Anita Frauwallner: Sie haben gerade erwähnt, dass Chemotherapeutika – so notwendig sie unbestritten sind – das Mikrobiom zusätzlich negativ beeinflussen. Gibt es Nebenwirkungen, welche eventuell sogar den Verlauf der Behandlung drastisch einschränken können?

Prof. Christoph Castellani: Eine Chemotherapie dient dazu, den Tumor zu zerstören. Als Nebenwirkung bringt diese Behandlung aber eine (zusätzliche) Erhöhung der Darmpermeabilität mit sich: Chemotherapeutika sind dafür geschaffen, dass sie all jene Zellen angreifen, die sich schnell teilen. Dazu gehören eben die Tumorzellen, aber auch Haarfollikel (was den Haarausfall bei Krebspatienten erklärt) – und die Zellen der Darmschleimhaut. Die Durchlässigkeit des Darms wird erhöht, indem sich die Tight Junctions verändern und die Epithelzellen des Darms zerstört werden. Somit können, wie eingangs schon erwähnt, vermehrt bakterielle Gifte in den Körper gelangen und die vorhandenen Entzündungen noch verstärken.

Die schwerwiegendste Nebenwirkung der Chemotherapie ist jedoch die Mukositis, eine Entzündung der Schleimhaut des gesamten Magen-Darm-Trakts, die sich durch Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, (blutigen) Durchfall oder Verstopfung äußert. Das sind ganz häufige Beschwerden, die bei 40% der Erwachsenen und sogar bei 60% der Kinder auftreten. Das große Problem dabei ist erneut die Durchlässigkeit des Darms, wodurch bakterielle Giftstoffe in den Körper gelangen und zu lebensbedrohlichen Infektionen führen können. Noch schlimmer ist aber, dass wir bei Vorliegen einer Mukositis die Dosis der Medikamente reduzieren müssen – und damit auch die Effektivität der Chemotherapie verringern. Der Darm zwingt uns also dazu, eine weniger gut wirkende Therapie anzuwenden.

Der Zusammenhang mit dem Mikrobiom besteht darin, dass allein die Verabreichung von Chemotherapeutika zu einer Dysbiose im Darm führt. Außerdem zeigt sich in Versuchsgruppen, dass Tiere mit einem Tumor generell weniger Bakterien im Darm haben als gesunde. Besonders schwerwiegend für den Darm ist eine Kombination aus Tumor und Chemotherapeutika – hier ist der Abfall vor allem der wichtigen Laktobazillen besonders hoch. Was man jedoch auch aus einer ganz aktuellen Studie weiß: Ein intaktes, gesundes Mikrobiom ist essenziell für die Funktion der Chemotherapie. Deshalb sollten wir in der Tumortherapie das Ziel anstreben, das Mikrobiom der Patienten intakt zu halten, um eine effektivere Chemotherapie durchführen zu können.

Mag. Anita Frauwallner diskutiert mit Prof. Christoph Castellani, inwieweit Tumorerkrankungen das Mikrobiom verändern und welchen Einfluss Pro- und Präbiotika als begleitende Therapie haben können. Mag. Anita Frauwallner: Wir wissen aus unserer Forschung am Institut AllergoSan, dass Prä- und Probiotika einen essentiellen Einfluss auf die Darmgesundheit haben. Welche Erfahrungen haben Sie damit im Bereich der Chemo- und Tumortherapie?

Prof. Christoph Castellani: Aus Studiendaten weiß man, dass ein erhöhter Konsum von natürlichen Faserstoffen, z. B. Pektin, Inulin oder Maltodextrin, das Darmkrebs-Risiko reduziert. Dazu genügt es schon, die Ernährung von der westlichen Diät hin zu einer faserreichen Kost umzustellen. Das Potenzial von gezielt kombinierter prä- und probiotischer Nahrungsergänzung ist noch deutlich größer: Präbiotika, also Faserstoffe, die im Darm ansässige Bakterien fördern, haben den großen Vorteil, dass sie den Nahrungsbrei schneller durch den Verdauungstrakt transportieren. Somit sind wir krebsauslösenden Stoffen kürzer ausgesetzt. Zusätzlich zeigen experimentelle Studien, dass z. B. Inulin das Wachstum von Laktobazillen und Bifidobakterien fördert, damit mehr kurzkettige Fettsäuren zur Verfügung stehen und Entzündungsparameter reduziert werden. Die Gabe von Pektin konnte sogar den Fettschwund, die Lipolyse, verringern und das Hungergefühl wieder verstärken.

Probiotika haben in mehrerlei Hinsicht positive Effekte, sie können unter anderem die Anhaftung pathogener Keime im Darm hemmen, durch die Beeinflussung des pH-Wertes ein besseres Milieu für nützliche Bakterien schaffen und das Immunsystem stimulieren. Auch hier zeigt eine experimentelle Studie Erfolge: Nach der Gabe von Laktobazillen wurden ebenfalls die Entzündungsparameter reduziert und der Muskelschwund verbessert. Eine kombinierte Gabe von Prä- und Probiotika könnte also die Kachexie positiv beeinflussen, und somit eine wichtige begleitende Therapie sein.

Ganz eindeutig positive Daten gibt es für die Anwendung von Probiotika, um die Mukositis zu reduzieren. Hier zeigen mehrere Studien – die größte mit fast 500 Patienten –, dass durch die Anwendung von Probiotika die Mukositis und der chemotherapieassoziierte Durchfall signifikant verringert werden können, sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Somit sind Probiotika wichtig bei der Begleitung von Chemotherapien, um schwere Nebenwirkungen zu reduzieren und so eine effektive Behandlung zu ermöglichen.

Mag. Anita Frauwallner: Herzlichen Dank für das Gespräch – wir sind sehr auf neue Forschungsergebnisse gespannt!

*Ass.-Prof. PD Dr. med. univ. Christoph Castellani ist Facharzt für Kinder- und Jugendchirurgie an der MedUni Graz und beschäftigt sich im Rahmen seines Forschungsschwerpunktes mit Entzündungsreaktionen, Störungen der Darmwandbarriere und Stoffwechselstörungen im Zusammenhang mit Krebs, die ihren Ursprung auch im Mikrobiom haben.

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