COVID-19: Patienten haben häufig Störung der Darmflora
Hongkong – Bei einer COVID-19 Infektion kommt es häufig zu einer Veränderung der Darmflora, deren Ausmaß in einer Studie in Gut (2021; DOI: 10.1136/gutjnl-2020-323020) mit dem Schweregrad der Erkrankung assoziiert war. COVID-19 ist zwar in erster Linie eine Erkrankung der Atemwege. Das Coronavirus kann jedoch auch die Zellen der Darmschleimhaut infizieren. Der Darm ist zudem das größte immunologische Organ des Körpers, dessen Aufgabe darin besteht, die Darmbakterien zu kontrollieren. Da es bei einer schweren COVID-19 häufig zu einer Überaktivität des Immunsystems kommt, ist ein Einfluss der Darmflora durchaus vorstellbar.
Ein Team um Siew Ng von der Chinesischen Universität in Hongkong hat deshalb Stuhlproben von 100 Patienten genetisch untersucht, die im Frühjahr wegen COVID-19 in der Uniklinik behandelt wurden. Bei 41 Patienten wurden mehrere Stuhlroben untersucht. Darunter waren 27 Patienten, die bis zu 30 Tage nach der Entlassung noch Stuhlproben abgegeben hatten. Die Forscher sequenzierten die in den Stuhlproben enthaltene DNA, woraus auf die Art und relative Häufigkeit der einzelnen Darmbakterien geschlossen werden kann.
Der Vergleich mit den Mikrobiomen von 78 Erwachsenen, die vor der Pandemie untersucht worden waren, ergab deutliche Unterschiede. Diese waren zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Patienten mit Antibiotika behandelt wurden (was zu Beginn der Pandemie häufiger geschah). Doch auch das Mikrobiom von COVID-19-Patienten, die keine Antibiotika erhalten hatten, zeigten deutliche Abweichungen.
Die Patienten mit COVID-19 hatten eine höhere Anzahl von Ruminococcus gnavus, Ruminococcus torques und Bacteroides dorei-Arten als Menschen ohne Infektion im Darm. Andere Bakterien wie Bifidobacterium adolescentis, Faecalibacterium prausnitzii und Eubacterium rectale waren dagegen seltener. Vor allem eine geringere Anzahl von F. prausnitzii und Bifidobacterium bifidum waren – nach Berücksichtigung des Antibiotikaeinsatzes und des Alters des Patienten – mit einem schweren Verlauf verbunden. Der Anteil dieser Patienten blieb auch in den Proben, die nach dem Ende der Infektion untersucht wurden, niedrig.
Die Zusammensetzung der Darmflora korrelierte teilweise auch mit der Höhe der Entzündungsparameter wie CXCL8, CXCL10, IL-10 und TNFalpha sowie mit Laborwerten von CRP, LDH und Leberenzymen, die einen schweren Verlauf der Erkrankung anzeigen. Die Ergebnisse können einen kausalen Zusammenhang nicht belegen, sie geben jedoch Anlass zum Nachdenken. Könnte die Störung der Darmflora, die teilweise auf eine aus heutiger Sicht unnötige Behandlung mit Antibiotika zurückzuführen war, für die Überreaktion des Immunsystems mitverantwortlich sein? Und könnte die Störung, die auch nach dem Ende der Erkrankung noch nachweisbar war, ein Grund für die Nachwirkungen der Infektion sein, die als „Long COVID“ bezeichnet werden?
Einige vom Media Sience Center befragte Experten halten dies für vorstellbar. Angus Dalgleish von der University of London erinnerte daran, dass die Darmflora nach neueren Studien einen Einfluss auf die Wirksamkeit der Krebsimmuntherapie hat. Graham Rook, ein Emeritus des University College London, regte Studien zum Nutzen einer Stuhltransplantation bei „Long COVID“ an.
Die von Ng beschriebenen Assoziationen könnten jedoch genauso gut darauf zurückzuführen sein, dass Menschen mit Adipositas, Diabetes oder anderen ernährungsbedingten Risikofaktoren für COVID-19 ebenfalls häufiger eine Störung der Darmflora aufweisen. © rme/aerzteblatt.de